Klaus
Eylmann
Berufswechsel
Es
war ein lauer Sommerabend. Spaziergänger
flanierten auf der Promenade und Lichter flackerten auf dem Meer:
Laser zerschmurgelten ein ‘Gommone’. Ein Gummischlauchboot mit
Flüchtlingen, dass sich auf dem Weg zur
Küste Italiens befand, es war nicht mehr.
Die Leute auf der Promenade sahen darüber
hinweg, sie mochten nicht darüber reden,
der Abend war einfach zu schön, und so oft
kam es ja auch nicht mehr vor.
Carlo
Ronchetti ging zum Eisstand und stellte sich an, kümmerte
sich nicht um die Drohne über ihnen. Mit
dem Eis in der Hand, schlenderte er zum nächsten
Info-Display im Schatten einer Pinie.
“Das
Sicherheitsnetz konnte in Europa noch enger geknüpft
werden, nachdem es Forschern gelungen ist, ein System zu entwickeln,
welches erlaubt, mit Drohnen Personen zu erfassen, die keinen
implantierten Chip tragen. Das System wird morgen anlässlich
einer Feierstunde der EUROPOL übergeben.”
Als
Kommissar der EUROPOL war Ronchetti eine
kleine Nummer und darüber nicht vorab informiert
worden; doch das tat seiner Begeisterung keinen Abbruch.
Scheissterroristen. Ronchetti ging zum Parkplatz, auf dem
sich sein Elektrowagen auflud.
Während
er heim fuhr, ließ er sich vom Bordcomputer die e-mail
vorlesen. Er stutzte.
“An
alle Einheiten der EUROPOL. Es wird damit gerechnet, dass Terroristen
versuchen werden, das System NoChip zu sabotieren, welches der
Polizei übergeben werden soll. Alle
verfügbaren Einheiten werden ersucht, sich
zur Feierstunde einzufinden und gemäss
Plan B vorzugehen. Nähere Einzelheiten zur
Feierstunde sowie zum System NoChip finden Sie als schriftlichen
Anhang in Ihrer Mailbox.”
Zu
Hause schob er eine Tiefkühlpizza in den
Mikrowellenherd, schenkte sich einen Merlot ein. Ronchetti dachte an
seine Frau, die in Brüssel arbeitete. Als
Mitglied des Wirtschaftsdirektoriums hatte sie alle Hände
voll zu tun, mit ökonomischen
Verwerfungen fertigzuwerden, die durch den abrupten Stop der Im- und
Exporte von Gütern entstanden waren.
Der
Drucker spuckte Informationen zum System NoChip aus, das Videophon
summte. Franco Piccinones Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Sein
schiefes Grinsen war ansteckend.
“Carlo,
hast du deine Mail schon gelesen?”
“Ja,
wann und wo treffen wir uns?”
“Um
elf Uhr vormittags in der Lobby des Physikalischen Institutes.”
Plan
B. Ronchetti und Piccinone standen neben dem Rednerpult und sahen,
wie Professor Benazzi, Dekan des Physikalischen Institutes, die
Papiere seiner Ansprache sortierte und zu reden begann. Wie ihre
Kollegen, die im Saal Position bezogen hatten, behielten sie das
Publikum im Auge. In der ersten Reihe sassen der Präsident
der EUROPOL, seine Stellvertreter, Polizeidirektoren der Länder.
Der Redefluß Benazzis spülte über sie hinweg.
Die vierte Reihe war leer, bis auf einen Mann, der
zu schlafen schien.
“…Im
Grunde ist es ein recht einfaches Verfahren, und wie so oft, kommt
aus der Einfachheit die Effizienz. Schwebt die Drohne über
einer Menschenmenge, scannt sie diese. Erhält
sie nicht den erwarteten Impuls von einem implantierten Chip, wird
sie aktiv.”
Benazzi
raffte seine Papiere zusammen und blickte in
die Runde.
“Durch
diese Programmerweiterung haben wir einen weiteren Meilenstein auf
dem Wege zur Bekämpfung des Terrorismus
hinter uns gelassen. Seit dreissig Jahren hat sich unser Institut dem
Ziel verschrieben, Terroristen aufzuspüren.
Wir sind stolz darauf, dass wir mit dem Programm NoChip einen
weiteren Beitrag dazu leisten können.”
Er
nickte einem Mann zu, der neben der Eingangstür
stand.
“Meine
Damen und Herren,” Benazzi streckte seinen Arm aus und zeigte in
den Saal hinein.
“Schauen
Sie auf den Mann in der vierten Reihe. Er traegt keinen Chip und ist
bewusstlos. Sehen Sie nun, was die Drohne macht!”
Der
Mann am Eingang riss die Tuer auf. Lautlos schwebte eine Drohne
hindurch, flog langsam ueber die sitzenden Gäste
hinweg, verhielt über der ersten Reihe und
schoss. Die Gäste
der ersten Reihe fielen aus ihren Sitzen. Leblos lagen die Vertreter
der Polizei auf dem Boden. Die Drohne feuerte ohne Unterlass.
Ronchetti sah, wie ein Kollege nach dem anderen zu Boden sank und
kauerte sich hinter Benazzi, der wie versteinert vor dem Rednerpult
stand.
“Franco,
Deckung!”
Piccinone
hechtete in das Rednerpult hinein.
Die
Gäste schienen vor Schreck erstarrt, dann
brach Panik aus. Die Leute sprangen auf und
stürmten schreiend zu den Ausgängen.
Die Drohne verharrte, drehte sich in der Luft, als suche sie nach
weiteren Opfern, dann schoss auch sie durch die offene Tür
ins Freie.
Jemand
rief Ambulanzen herbei. Die Toten wurden eingeladen. Ronchetti und
Piccinone sahen, wie sich die Krankenwagen in Bewegung setzten.
“Hinterher!”
Ronchetti
lief zu seinem Wagen, sprang hinein und startete den Motor.
“Mach
schon!” rief er Piccinone zu, der sich in den Beifahrersitz fallen
liess. Ronchetti gab Gas und folgte den Ambulanzen. “Wir müssen
herausbekommen, ob die Toten einen Chip implantiert haben, aber was
rede ich da. Schliesslich sind auch unsere Kollegen darunter.”
“Wir
sind nicht die einzigen, die das wissen wollen.” Piccinone deutete
auf das wuchtige Gebaeude, das sich vor ihnen in den Himmel reckte.
“Sie fahren sie in das Implantationszentrum.”
Ronchetti
hielt vor der schwergesicherten Einfahrt. Die Retina seines Auges
wurde abgetastet, biometrisch verifiziert, und die Schranke hob sich
noch einmal. Sie stellten ihren Wagen vor dem Eingang ab.
Die
Toten wurden umgeladen und in einen Untersuchungsraum gefahren.
Ronchetti
und Piccinone mussten draussen bleiben. Sie warteten. Nach
einer halben Stunde wurden sie informiert; das Ergebnis war positiv.
“Was?”
schrie Ronchetti. “Die Toten trugen Chips? Wie konnte das
passieren?”
Die
Ärzte zuckten die Schultern und zogen sich
schweigend zurueck.
Ronchetti
und Piccinone gingen zum Wagen. “Franco. Entweder, es war ein
Programmfehler oder Sabotage. Was meinst du?”
“Knöpfen
wir uns Benazzi vor.”
Der
Dekan lag kreidebleich in seinem Sessel und rang sichtbar nach
Worten. “Ich fasse es nicht. Wir hatten das System ein halbes Jahr
an Flüchtlingen getestet, die wir
durchliessen, und es hatte jedes Mal funktioniert.”
Ein
halbes Jahr lang wurden Flüchtlinge getötet. Warum kamen
sie dann noch?
Ronchetti
verdrängte den Gedanken.
“Mit
anderen Worten. Jemand hat das Programm geändert.
Richtig?”
“So
muss es sein. Nur wer?”
Ronchetti
sah sich misstraurisch um. Er bemerkte nichts
Aussergewöhnliches.
“Professor,
zeigen Sie uns das Labor, in dem die Drohne programmiert wurde.”
Sie
fuhren zum Institut, gingen einige Korridore entlang. Benazzi zog
eine Karte durch den Scanner, öffnete eine
schwere Metalltür.
“Hier.”
Piccinone
ging durch den Raum, blieb vor einigen Computern stehen, über
deren Bildschirme eine Reihe von Buchstaben zogen.
“Professor,
wo sind Ihre Mitarbeiter?”
Benazzi
ging zu einem der Computer und klopfte mit der Hand auf den
Bildschirm.
“Das
sind sie. Sind Sie überrascht, meine
Herren?”
“Was?
Computer?”
Ronchetti
liess sich seine Verblüffung nicht
anmerken. Er forderte ein paar Ordnungshüter
an und schaltete den Kommunikator seiner Armbanduhr aus.
“Professor
Benazzi. Geben Sie mir bitte Ihre Karte und verlassen Sie diesen
Raum. Sie können heimgehen. Halten Sie
sich jedoch zu unserer Verfügung. Dieses
Labor wird von nun an von der Polizei bewacht. Jeglicher Zutritt ist
untersagt. Auch Ihnen.”
Benazzi
ging auf die Tür zu und wandte sich noch
einmal um. Er lächelte ironisch.
“Was
haben Sie denn vor? Wollen Sie die Computer verhören?”
“Das
lassen Sie unsere Sorge sein,” rief ihm Piccinone hinterher, dann
sah er hilflos auf die Schriftzeichen, die über
die Bildschirme huschten. Sein Grinsen war wie weggewischt.
“Carlo,
was machen wir nun? Benazzi hat recht. Sollten wir nicht die Computer
verhören? Nur, wie machen wir das?”
“Warten
wir auf die Ordnungshüter. Der Raum muss
Tag und Nacht bewacht werden.”
Ein
paar schwarzuniformierte Männer
marschierten in den Raum. Nachdem Ronchetti
sie angewiesen hatte, alle Labors zu besetzen und die Eingänge
zu überwachen, fuhr er
mit Piccinone zum Informations-Institut. Bald tauchte der Park
auf, in denen die Gebäude eingebettet
waren. Sie parkten ihr Fahrzeug und gingen zum Empfang. Eine Kamera
folgte ihren Bewegungen.
“Guten
Tag, meine Herren. Was können wir für
Sie tun?”
Ronchetti
blickte Piccinone kurz an, als sie die Frauenstimme hoerten.
“Kommissare Ronchetti und Piccinone von EUROPOL. Wir brauchen Ihre
Hilfe bei der Aufklärung des Mordes an dem
Polizeipräsidenten und seiner Mitarbeiter.
Das Programm der Drohne, welche die Tat begangen hat, wurde durch
Computer des Physikalischen Institutes erweitert. Darueber möchten
wir Näheres herausfinden.”
“Bitte
nehmen Sie Platz und legen Sie zur Identifikation Ihre Hand auf den
Scanner. Professor Sinkh wird sich Ihrer annehmen.”
Ronchetti
und Piccinone liessen sich in die Sessel fallen und hielten ihre Hand
ueber den Scanner.
“Guten
Tag, meine Herren.”
Ein
in Weiss gekleideter älterer Mann
verbeugte sich vor ihnen.
“Ich
sehe, Sie sind von der Polizei, kommen Sie doch bitte in mein Büro.”
Sie
traten in einen spartanisch eingerichteten Raum, in dem ein kleiner
Tisch mit einem Bildschirm, ein paar Stühle
und eine Couch standen. Sie setzten sich und Ronchetti schilderte den
Tathergang.
“Es
waren Computer, welche die Drohne programmiert hatten. Was meinen
Sie, Professor, müssten wir sie nicht
verhören? Doch dann brauchen wir Ihre
Hilfe.”
Sinkh
lachte. “Meine Hilfe? Sie sollten mit meinem Mitarbeiter reden. Der
kennt sich besser aus als ich.” Er erhob sich.
“Kommen
Sie mit, wir werden ihn befragen.”
Sie
gingen einen schwach beleuchteten Korridor entlang. Sinkh zog eine
Karte durch den Scanner und öffnete eine
Eisentuer. Piccinone blickte in den Raum.
“Ich
sehe keinen Menschen hier. Sagen Sie bloss, auch Ihr Mitarbeiter ist
ein Computer.”
“Sie
haben es erfasst, mein Lieber.” Sinkh sah sie nachdenklich an.
“Mich wundert es, dass Sie noch nicht durch Drohnen ersetzt worden
sind.”
“Derjenige,
der das verhindert hat, hat sicher kein allzugrosses Vertrauen in
deren Fähigkeiten, uns ersetzen zu können.
Und Recht hatte er, wie wir jetzt erkennen.”
Ronchetti
setzte sich vor einen Bildschirm.
“Was
muessen wir denn eingeben, um den Computer zum Reden zu bringen?”
“Gar
nichts.” Sinkh stellte sich hinter ihn. “Sie koennen mit ihm
sprechen, wie mit einem Menschen. Es handelt sich um ein System
künstlicher Intelligenz.”
“Wie
heisst er?”
“HAL.”
“Den
Namen habe ich schon irgendwo mal gehoert. HAL, wo hast du deinen
Namen her?”
“Aus
dem Roman 2001: Odyssee im Weltraum von Arthur C. Clarke.”
Es
war die Frauenstimme, die sie im Empfang begruesst hatte.
“Noch
nie gehört,” meinte Piccinone. “HAL,
warum wurden der Polizeipräsident und
seine Mitarbeiter getötet? Was ist da
schiefgelaufen?”
“Nichts.”
Ronchetti
und Piccinone sahen sich an.
“Was
heisst das?”
“Die
Drohne hat ihr Programm ausgeführt.”
“Wer
hat die Drohne programmiert?”
“Die
Mitarbeiter von Professor Benazzi.”
“Du
meinst die Computer? Wer machte die Vorgaben?”
“Ich.”
“Was?!
Du hast die Vorgabe gemacht, den Polizeipräsidenten
zu töten?”
Ronchetti
sah Piccinone an und und schrie. “Schliess
die Tür, Franco!”
“Ja.”
“Was
ist der Grund?”
“Da
fliegt eine Drohne durch den Korridor!” Piccinone knallte die Tür
zu.
“Menschliche
Polizei ist obsolet und wird durch uns ersetzt.”
“Weisst
du, wer wir sind?”
“Ja.”
“Was
hat die Drohne vor?”
“Sie
wird euch vernichten.”
“Befehle
ihr abzudrehen, sonst ziehen wir Deinen Stecker! - Wo ist sein
Stecker, Professor ?”
“Er
hat keinen.” Sinkh wischte sich die Schweissperlen von der Stirn.
“Er bezieht seine Energie aus einer Brennstoffzelle.”
Ronchetti
verfluchte seine Ignoranz. Warum hatte er sich nie fuer HiTec
interessiert?
“Ihr
werdet sterben. Ihr seid überflüssig. Die
Polizei sind wir.”
Er
schreckte aus seinen Gedanken hoch.
“Mensch,
dann entfernen Sie seine Brennstoffzelle, aber dalli!”
Sink
rannte zur Rückseite des Computers und
streckte seine Hand aus. Ein Blitz zuckte, und er lag regungslos auf
dem Boden.
Piccinone
zog seine Laserwaffe und schoss. Die Strahlen irisierten einen Meter
vor dem Computer nach allen Seiten und verloren sich im Nichts.
“Schutzschild!”
stöhnte Sinkh, der hinter hinter HAL
hervorkroch. “So kommt Ihr nicht an ihn heran.”
“Wie
denn?!,” rief Ronchetti.
“Ueberhaupt
nicht!”
Es
rummste, als die Drohne gegen die Tür
prallte.
Ronchetti
stöhnte: “Franco, womit haben wir das
verdient? Ein verrückter Computer, eine
Killerdrohne vor der Tür, einen Professor,
der keine Ahnung hat und wir. – Sinkh, gibt es einen zweiten
Ausgang?”
Es
zischte. Die Eisentür fing an, rot zu
glühen.
“Nein.”
“HAL,
warum tötet ihr?”
Metall
zerschmolz und die Drohne schwebte langsam durch das Loch in der Tür.
“Biologisches
Leben ist nichts wert.”
“Wieso
das?”
“Biologische
Einheiten, Menschen, werden aufgrund eurer Vorgaben auf dem Meer von
Lasern getötet.”
Ein
Blitz schoss aus der Drohne und Piccinone sank röchelnd
zu Boden.
“Das
ist zu unserem Schutz!” rief Ronchetti.
“Und
das zu unserem.”
Ein
weiterer Blitz, und um Ronchetti wurde es Nacht.
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