Ron Davis sah die 2112 auf der Wohnungstür, dann blickte er zur Uh, gab den Männern ein Zeichen.
Nachtsichtgeräte vor dem Auge, ergriffen sie ihre Waffen. Gleich würden in dem fünfzigstöckigen
Wohnhaus die Lichter ausgehen.
“Jetzt!” rief Davis und trat die Tür ein. Die Kegel der Helmleuchten erfassten eine Frau vor einer Wand. Stöhnen. Das Licht streifte eine Couch. Es klackte. Lichtkegel schwenkten zurück, als die Frau auf die Männer zu ging. Plötzlich strahlte die Lampe an der Decke und sie hatten freie Sicht auf ein mit Pizzakartons und leeren Colaflaschen zugemülltes Zimmer.
“Bleiben Sie stehen!”, Davis legte an. Die Frau kam näher. Die Pappe der Kartons gab unter ihren Füssen nach. Davis drückte ab. Die Frau ging weiter. Davis griff nach seiner Pistole und schoss. Das Stahlmantelgeschoss legte ihr Inneres frei. Qualm kam aus ihrer Brust.
“Was sagt man denn dazu?” Angewidert blickte Davis auf den Roboter hinab. Das grellgeschminkte Gesicht, hellblaue Augen leblos gegen die Decke gerichtet, die wirr abstehenden roten Haare, der schlanke Körper im hellgrauen Overall. Glieder zuckten, es glimmte und knisterte in dem Gewirr von Drähten, die aus der Einschussöffnung quollen.
Drähte. Davis schüttelte den Kopf.
“Es lud sich an der Steckdose auf. Dieses Uraltmodell hat den Saft aus dem ganzen Mietshaus abgezogen.
Miller”, wandte sich Davis an einen seiner Männer. “Schaffen Sie den Roboter in’s Kybernetische Institut. Sie sollen seine Speicher durchsuchen.”
Da war das Stöhnen wieder. Auf der Couch lag ein alter Mann. Er versuchte sich aufzurichten und sank ächzend auf die Liege zurück.
“Ruft ‘nen Krankenwagen!” Davis sah, wie der Mann die Lippen bewegte und beugte sich zu ihm hinab.
Eine Stunde spàter wartete Davis, bis der Arzt der Notaufnahme aus dem Untersuchungsraum kam.
“Übel dran, der Mann. Mehrere gebrochene Rippen, Pneumothorax und Alzheimer. Der Arme ist schwachsinnig.”
Der Mediziner blickte bekümmert. “Ich werde es melden müssen. Der Mann wurde uns nicht rechtzeitig zur Therapie übergeben. Wir hätten ihm helfen können. Jetzt hat das Tau-Gen die Mikrotubuli seiner Gehirnzellen beschädigt.”
“Sie wissen, unser Gehirn arbeitet wie ein Quantencomputer. Mikrotubuli sind am Aufbau des Zellskeletts beteiligt. Darüber hinaus verhalten sie sich wie quantenelektrodynamische Hohlräume. Sie gelten als aussichtsreiche….”
“Doktor,” unterbrach ihn Davis. “Ich nehme mich der Sache an.”
In der Wache.
Miller kam mit einer alten Frau auf Davis Schreibtisch zu.
“Die Dame möchte mit Ihnen sprechen, Boss. Sie meint, sie kenne den Mann aus dem Alzheimer-Fall.”
“Bitte nehmen Sie Platz und legen Ihre Hand auf den Scanner.” Davis blickte auf den Bildschirm.
“Nun, Frau Marisa Brown, - Marisa, ein schöner Name -, kennen Sie den Mann?”
“Als ich sein Bild im Fernsehen sah, wurde die Erinnerung wieder lebendig. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, aber es ist Jim Semmler. Wir waren miteinander verlobt.”
Das Gesicht der Frau rötete sich, und es schien, als bräche für einen Moment Abglanz ihrer Jugend durch die alte Hülle.
“Wir liebten uns, hatten vor zu heiraten. Dann der obligatorische Pre-Hochzeitstest. Er hatte ein deformiertes Tau-Protein, und ich verliess ihn.”
Die Frau schluckte und blickte zu Boden.
“Wenn ich damals gewusst hätte, dass später einmal Hilfe möglich gewesen wäre… . Ich glaube, Jim hat nie wieder eine Frau angesehen. Ich weiss nur, irgendwann, viele Jahre später, kaufte er sich von seinem letzten Geld einen gebrauchten, weiblichen Roboter.”
Davis und Miller trafen im Kybernetischen Institut auf einen Mann, der sich Freeman nannte. Er hatte ein schmales, graues Gesicht, in dem die rechte Wange in unregelmäßigen Abständen zuckte.
“Sie werden es nicht glauben, meine Herren. Dieses alte Modell…”, Freemann zeigte kopfschüttelnd auf den Untersuchungstisch mit dem Roboter. “Semmler hat ihm den Namen Marisa gegeben, den Namen seiner ehemaligen Verlobten, aber sehen Sie selbst.” Er bedeutete Davis und Miller Platz zu nehmen und stellte sich hinter einen Projektor.
“Sie sehen einige Highlights aus Marisas Speicherinhalt.”
Auf der Leinwand erschienen die freundlichen Verkäuferinnen von Pizza Hut. Eine von ihnen schob einen grossen Pizzakarton sowie eine Zweiliter Colaflasche über den Tresen.
Dann sahen sie Jim Semmler auf dem Sofa mit einer Pizza. Sein Brustkorb war bandagiert.
“Highlights.” Davis zog die Augenbraue hoch. “Früher muss das Leben interessanter gewesen sein. Was meinen Sie? Was ist mit Semmlers Brustkorb? Jetzt hat er wieder ein paar gebrochene Rippen.”
“Marisas defektes Programm. Wenn sie sich liebten, ging sie sofort in Passion Mode 3. Eins und zwei funktionierten nicht.” Freeman schaltete den Projektor aus und setzte sich zu ihnen.
“Im Grunde führten sie ein ereignisloses Leben, abgesehen davon, dass sich die beiden alle drei Wochen eine neue Wohnung suchen mussten, da der Roboter zu viel Energie verbrauchte, und Semmler sich durch die Heftigkeit ihrer Liebesattacken regelmässig ein paar Rippen brach. Das zum Leben notwendige Geld beschaffte sie durch Fälschen von Kreditkarten.”
“Ich verstehe nicht,” meinte Miller, “wieso hat Semmler sich nicht von ihr getrennt?”
Freeman zog die Fenstervorhänge zur Seite. Das Licht der Sonne spiegelte sich in den gläsernen Schränken.
“Hat er ja. Er lief davon. Doch da setzte sein Gedächtnis schon aus, er irrte durch die Strassen. Bevor noch jemand auf ihn aufmerksam geworden war, hatte Marisa ihn schon wieder in die Wohnung zurückgeholt. Was für eine Ironie! Marisa wollte nicht, dass er zu Schaden käme und hat damit unterbunden, dass ihm geholfen werden konnte.”
Davis und Miller erhoben sich.
“Jetzt haben wir ein Problem.” Davis sah auf Miller, dann auf Freeman.
“Wenn seine Verletzungen geheilt sind, muss er das Krankenhaus verlassen. Was machen wir dann mit ihm?”
Freeman sah zum Roboter hinüber.
“Ich werde Marisa reparieren, ein Öko-Energiesystem einbauen, Passion Mode eins und zwei wieder herstellen. Und wenn Sie, Davis, dafür sorgen könnten, dass Marisa eine gültige Kreditkarte erhält, dann ergibt sich alles weitere.”
Sein Hund bellte, als Davis ihn ein paar Monate später spazierenführte. Duft von heisser Salami zog in seine Nase, während eine hochgewachsene, schlanke, in einen hellgrauen Overall gekleidete Person mit einem Pizzakarton und einer Flasche Cola an ihm vorbei ging. Davis blieb stehen, blickte ihr nach, sah die wirr abstehenden roten Haare, lächelte und ging weiter.
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