Coversong Roads

Visualizzazione post con etichetta Literatur. Mostra tutti i post
Visualizzazione post con etichetta Literatur. Mostra tutti i post

domenica, settembre 14, 2025

Minutennovelle: Normal?


Personalien: Heinrich Schneider, Kommissar der Mordkommission Hamburg City-Nord; Udo Schmitz, Inspektor der Mordkommission Hamburg City-Nord.

----------------------

Der übliche Spaziergang in der Mittagspause.

Bratwursduft stieg in ihre Nasen.

"Heinrich, ziehen wir uns eine Bratwurst rein.“

Udo bog nach links, ging zur Strasse, die den Stadtpark wie einen Ring umgab.


Hallo, Albert. In den Bratwurstwagen umgezogen?“

Udo, Herr Schneider.“ Albert setzte sein freundliches Gesicht auf. „Was darfs denn sein?“

2x Bratwurst mit Brötchen und zwei Cola.“ Ist doch recht Heinrich, oder?“

Es gibt doch nichts besseres, als Kantinenessen hin und wieder mit einer Bratwurst abzulösen.“ Schneider sah sich um. Wuchtige Hecken vor Häusern an der gegenüberliegenden Straßenseite, dunkle Wolken über ihnen, stampfende Schritte, eine laute Stimme im Befehlston.

Albert, hast du deinen McLaren noch? - Was ist da los?“, Udo trank seine Cola, zahlte. „Sehen wir uns das an.“

Was?“, meine Schneider, winkte Alber zum Abschied zu. Im Park bemerkten sie metallisch blitzende Gestalten, die hinter einem Uniformierten marschierten.

Rechts schwenkt marsch!“ Der Mann bog mit der Gruppe auf den Weg ab, der zur Stadtparkwiese führte.

Hinterher“, murmelte Schneider. „Sind das Roboter?“

Der Weg wurde enger und der Mann brüllte: „Ohne Tritt, Reihe rechts.“

Schneider und Udo sahen, dass die rechte Reihe der Metallgestalten ihr normales Tempo beibehielt, zwei Reihen kürzer traten und sich dann der rechten Reihe anschlossen. Schneider und Udo folgten.

Auf der Wiese lagen, standen und spielten Familien, Frauen mit Kopftüchern, Kinder mit Fussbällen.

Der Mann marschierte mit seinem Gruppe im Gleichschritt auf die Mitte der Wiese und rief: „Abteilung Halt!, Rechts um!“

WAS SOLL DER SCHEISS!“ Metallstimme. Ein Schuss. Der Uniformierte fiel zu Boden.

Zwei Männer gingen auf ihn zu, liefen weg, als sie sahen, wie sich ihnen mehrere Roboter näherten. Schreie. Familien ergriffen ihre Sachen und liefen davon.

Wo hat der diese Ausdrucksweise her?“ Udo war konsterniert, sah wie Schneider zu seiner Pistole griff, packte dessen Arm.

Heinrich, lass das, du hast keine Chance. Rufe das Einsatzkommando an!“

Roboter bewegten sich von der Wiese. Schneider und Udo sahen ihnen nach, wie sie im Dunst verschwanden, im Dunst, der vom See über die Wiese waberte. Schneider langte nach seinem Handy.

Das ist nicht normal. Heinrich, gehen wir zu Albert und holen uns noch eine zweite Bratwurst.“


domenica, settembre 07, 2025

Kurzgeschichte: Männerchor

 

 

Ich stehe an der Reling und warte. Bisweilen findet die schräg stehende Sonne einen Weg durch die Mangroven und färbt das Wasser des Amazonas in helles Braun. Die Maschine stampft, unter mir dreht sich ein Rad. Durch Rauschen bewegten Wassers dringt die Stimme eines Kindes. ziehe die Uhr aus der Weste. Vor drei Stunden hatten wir in Obidos abgelegt. Am Ufer hängen Bäume über dem Wasser. Das Schiffswrack müsste in wenigen Minuten auftauchen. Eine junge Frau kommt mit einem kleinen Jungen das Deck entlang. Das Kind läuft zu mir, sieht mich an und fragt: “Was hast du in deinem Koffer?”

Abgewetzt, braun, robust steht der neben mir, als warte er, eine neue Reise anzutreten. Ich antworte dem Jungen, der zur Frau zurück läuft und ruft: “Der Mann hat gesagt ‘Korsetts’, hat er gesagt. Mammi, Korsetts, was ist das?”

Jahrzehnte lang war ich, Robert Bimstein, Zuschneider in der Mieder- und Korsagenfabrik Formtreu & Cie gewesen und glaubte, auf dem Höhepunkt meiner Berufslaufbahn zu stehen. Doch je näher mein Pensionsalter heran rückte, desto mehr erwachte in mir die Sehnsucht nach neuen Ufern, und ich verließ im Juni 19.. das Unternehmen, wurde Reisender in Trikotagen. Oh, das Gefühl selbständig zu sein!

Der Vorgang, wenn auch eine wichtige Zäsur in meinem Leben, wäre nicht wert erwähnt zu werden, hätte er mir nicht die Möglichkeit verschafft, die in mir aufgekommene Lust auf phantastische Abenteuer zu befriedigen.

Aller Anfang ist schwer und ich fragte mich, ob es der Anfang vom Ende war. Reiste ich doch mit einem Koffer voll Korsetts ohne Plan und Ziel in Deutschland umher, um die Produkte an die Frau zu bringen, bis ich an einem grauen Novembertag in Ochsenstadt aus der Kutsche sprang und im ‘Braunen Bären’ einkehrte. Die Frau des Wirtes, eine füllige Endvierzigerin mit mächtigen Oberarmen, brachte just in dem Moment vier Humpen Bier an unseren Tisch, als ich meinem Tischnachbarn, dem Dorfschmied Heinz, ein Exemplar aus meinem Sortiment zeigte.

Mein Herr”, flötete sie. “Wie gern hätte ich eines Ihrer Korsetts anprobiert. Doch mein Mann”, und sie deutete mit ihrem Kopf zur Theke, wo ein schmächtiges Männlein Bier einschenkte, “bringt die Kraft nicht auf, es so zu schnüren, dass meine Jugend wieder zum Vorschein kommt. Ich sehe jedoch, dass auch Sie dazu nicht in der Lage sind.” Ihre Bemerkung traf mich, doch war die Frau nicht im Unrecht. Bin ich doch von zarter Konstitution, die so manchen Genies eigen ist. Dafür war der Dorfschmied um so kräftiger, und ich wagte zu sagen, dass mein Tischnachbar wohl helfen könnte.

Als Heinz und ich im Morgengrauen nach ausgedehnter Zecherei aus dem Lokal traten, hinterließen wir ein Korsett, ein glückliches Wirtsehepaar, eine Garantie auf freie Übernachtung und Verzehr, wenn immer ich mich in Ochsenstadt aufhalten sollte. Heinz meinte: “Es gibt genügend kräftige Männer hier.” Ich sah ihn fragend an. “Um das Korsett der Wirtin zu schnüren.”

Ich setzte Anzeigen in die Zeitungen. ‘Mit dem Wunderkorsett fühlen Sie sich wie neu geboren’. Nun, das Wunder war Partner Heinz, der mit einem Korsett jeden Frauenkörper in die gewünschte Form zu pressen in der Lage war. Formtreu & Cie hatten in mir einen würdigen Vertreter gefunden.

Unrast trieb mich über die Landesgrenzen. Alsbald befand ich mich mit einem Koffer voll Korsetts im Unterdeck eines Passagierdampfers nach Argentinien, um der Einladung eines Jugendfreundes zu folgen. Um für die Passage aufzukommen, machte ich mich in der Schiffswerkstatt nützlich. Mein Partner war nach Ochsenstadt zurück gekehrt. So entwickelte ich einen mechanischen Korsettschnürer. Er besteht aus Zahnrädern, Stahlfedern, einer Spule, versetzt auch den schwächsten Ehemann in die Lage, das Korsett seiner Frau zu schnüren. Dem Kapitän gab ich die Gelegenheit, den Apparat auszuprobieren. Es war beeindruckend, wie die Luft aus der Kapitänsfrau gepresst wurde, bis sie ohnmächtig zu Boden sank. Dieser Zustand dauerte nur einige Minuten. Als ich die Flasche mit dem Riechsalz beiseite stellte und die Frau ihre Figur im Spiegel sah, drückte sie mich so fest an ihren Busen, das es mir schwer fiel, sie nicht meine Begeisterung spüren zu lassen. Der Schnürer hatte sich bewährt. Ein Exemplar überließ ich dem Kapitän, und ich bekam auf Grund von Mundpropaganda genügend Aufträge weiblicher Passagiere, um meinen Aufenthalt in Argentinien für einige Zeit finanziell abzusichern.

Als wir in Buenos Aires einliefen, stand mein Jugendfreund Walter am Pier. Ich hatte ihn als spindeldürren Mann in Erinnerung. Doch dieser hier hatte sich vom guten Leben überzeugen lassen. Sein Umfang hatte beträchtlich zugenommen. Der Kopf glich einer Kugel, aus dem die Augen listig hervor lugten. Er hieß mich überschwenglich willkommen und warf mein Gepäck in eine Kutsche, mit der wir in die Stadt fuhren.

Der Abend im Teatro Colòn war einer der Höhepunkte meines Aufenthaltes. Ich vergaß füllige Frauen, Korsetts, Stangen, mechanische Schnürer, als Walter mit seinem Chor aus voller Kehle Lieder von der Bühne schmetterte. Die Männer standen in ihren Fracks, nach vorn gebeugt wie altersschwache Pinguine. Der Zahn der Zeit hatte kräftig an ihnen und ihren Toupets genagt, doch sprühte Feuer in ihren Augen und ihre Stimmen klangen kräftig. Sie besaßen ein umfangreiches Repertoir, vom Lustigen wie ‘Was macht der Meier auf dem Himalaya’, ‘Bevor nicht die Hose am Kronleuchter hängt’, zum getragenen ‘Am Brunnen vor dem Tore’ und erhabenen ‘La Montanara’. Am Schluss sprang das Publikum jubelnd auf die Stühle, und nur unter Mühen gelang es den Ordnern, die Sänger durch einen Hinterausgang aus dem Theater zu bugsieren. Walter und ich übernachteten in meinem Hotel. Am Morgen darauf fuhren wir in die Pampas, die sich südwestlich von Buenos Aires ausbreiteten.

Wir haben uns zur Ruhe gesetzt. Du hattest Glück, eine unser seltenen Vorstellungen zu sehen.” Walters feistes Gesicht glich einem Mond, der sich in den Tag verirrt hatte. Außerhalb der Stadt rumpelte die Kutsche über ausgefahrene Wege. Die Fahrt dauerte mehrere Stunden. Wir passierten Rinderherden, Gauchos auf endloser Steppe, und ich fürchtete, nie mehr aus der Kutsche heraus zu kommen. Dann sah ich die Estancia. Das Herrenhaus, ein kleineres, vermutlich für’s Gesinde, die Stallungen, waren um einen Patio gruppiert, in dessen Mitte ein Springbrunnen die Luft kühlte. Walter und ich setzten uns in den Schatten von Palmen, mannshohen Kakteen und Jacaranda Bäumen, beobachteten, wie der Kutscher die Pferde abspannte, trocken rieb und in die Stallungen führte. Peones fuhren mit einem Pferdewagen davon. Eine junge Frau kam aus dem Haus und lief auf uns zu.

Pilar, traiganos unas cervezas!”, rief Walter und legte seine Füße auf die Mauer, die sich um Brunnen und Pflanzen wand.

Ich schloss die Augen. Meine Sinne ergaben sich dem Duft des Oleanders, dem Zirpen der Zikaden, dem Rauschen des Brunnens.

Robert. Estas in tu casa.”

Gracias”, war eines der wenigen spanischen Wörter, mit denen ich antworten konnte. “Wie hast du das nur geschafft?”, fragte ich, ohne die Augen zu öffnen.

Nicht ich. Der ganze Chor.” Und ich erfuhr die unglaubliche Begebenheit, wie die Sangesbrüder zu Wohlstand gekommen waren.

Es war vor zwei Jahren. Nachdem wir in den berühmtesten Häusern der Welt aufgetreten waren, zogen wir nach Buenos Aires, Stadt mit europäischem Flair in einem Land, das uns, die wir alt geworden waren, mit seinem milden Klima zusagte. Hinter uns die Karriere, über uns der Himmel, unter uns die....Oye muchacha, dos cervezas, por favor ..., also wir sind rundherum zufrieden hier, geben, wenn wir gefragt werden, Benifiz- Konzerte im Teatro Colòn. Dann bekamen wir diese Einladung aus Manaus, einer brasilianischen Stadt inmitten von Gummiplantagen. Deren Besitzer hatten ein Opernhaus gebaut. Wie sehr sie mit unserer Zusage rechneten ergab sich daraus, dass sie die Schiffspassage für den Chor im Voraus bezahlten. In Buenos Aires bestiegen wir ein Schiff, mit dem wir auf dem Rio de la Plata die hundert Meilen zum Atlantik und dann die Küste entlang bis nach Belèm an die Mündung des Amazonas fuhren. Dort wartete die ‘Paryassu’ auf uns, einer jener verrotteten Kähne, die auf dem Amazonas verkehren. Außer uns waren Händler an Bord, die Stoffe, Früchte und Eisenwaren stromaufwärts verkaufen wollten. Dann ein bibelschwingender Priester, ein Polizist auf Verwandtenbesuch, eine Frau, die ihrem Mann davon gelaufen war. Um uns braunes Wasser, Wald wie gigantischer Broccoli und das Geschrei von Affen. Dann würfelte das Schicksal. Zwischen Obidos und Manaus explodierte der Dampfkessel. Wir begruben den Heizer am Ufer und sprachen ein kurzes Gebet unter einer Wolke von Glühwürmchen. Die anderen Passagiere gingen aufs Schiff zurück, doch meine Chorbrüder und ich entschieden sich stromaufwärts zu marschieren, da wir einen guten Monat auf das nächste Boot hätten warten müssen.” Walters Stimme schläferte mich ein. Ich hörte dann wieder, wie er sagte: “Kikapu-Indianer, es mussten die Kikapu sein, von denen schon Edgar Allan Poe berichtet hatte, trieben uns tiefer in den Dschungel. Jeder von uns Choristen umklammerte seinen kleinen Koffer mit Waschzeug, Nachthemd, Nachtmütze, Unterwäsche und Frack, als hinge sein Leben davon ab. Es war dunkel, es war feucht. Das Hemd klebte mir auf dem Leib. Mangroven hielten das Tageslicht fern, so dass wir nicht auf die grauen Mauern achteten, die sich zwischen den Bäumen erhoben. Eine Pyramide, die sich in den Himmel reckte. Etwas Unheimliches ging von diesem Bauwerk aus und dann wurde mir bewusst: Die Tiere, deren Stimmen uns den ganzen Weg über begleitet hatten, waren verstummt. Es war, als trauten sie sich nicht in die Nähe dieses grauen Tempels, der mit einer Höhe, Breite und Länge von rund fünfzehn Metern von weitem kaum zu sehen gewesen war. Die Kikapu stießen uns durch einen breiten Riss in der Mauer.

Ein Mann lag auf dem Bauch und streckte die Arme einem Götzenbild entgegen. Es glich einem Ballon mit aufgepapptem Kopf. Zweifelsohne handelte es sich bei dem Indio auf dem Boden, dessen Kopf unter einem Federschmuck verschwand, um einen Priester. Er trug einen Umhang aus gegerbtem Leder, eine Kette aus Jade und Muschelschalen und rief: “K’inich yaz kuk mo!” Dann schwanden mir die Sinne.”

Es dämmerte. Ein Hund bellte. Jemand sang zur Gitarre. Frauenlachen wehte zu uns herüber. Walter hatte seine Geschichte abgebrochen und führte mich auf mein Zimmer. Ich stellte meinen Koffer in eine Ecke und sah zum Fenster hinaus. Walter und seine Sangesbrüder hatten in den Glückstopf gegriffen. Doch mir war unbehaglich zumute; ich schien mein Ziel aus den Augen zu verlieren.

Nach dem Abendessen aus Steak und Bohnen sprachen Walter und ich dem Bier zu. Mein Freund fuhr mit seiner Geschichte fort. “Als ich aufwachte, schienen zwei Sonnen auf auf uns herab. Wir lagen unter einer Kuppel aus durchsichtigem Material. Wesen, die dem Götzen aus dem Tempel glichen, sahen durch die Kuppel auf uns. Groß wie wir, ihre runden haarlosen Köpfe übersät mit Augen, die sich in einer mir unerklärlichen Folge öffneten und schlossen. Platz für Nase, Mund, Ohren waren nicht vorhanden. Unter den Umhängen über ballonförmigen rot gestreiften Körpern waren weibliche Attribute zu sehen.”

Ich dachte an die fünfzehn Korsetts in meinem Koffer und fragte: “Wie viel waren es?” “Um die zehn”.

Sie hüpften auf Stummelbeinen, stießen gegen einander, schienen erregt. Doch in die Kuppel drang kein Laut. Unter und hinter ihnen dehnte sich eine metallen schimmernde Fläche zum Horizont. Dann gruppierten sich die vermenschlichten Ballons konzentrisch um die Kuppel und fixierten ihre Augen auf einen Punkt in der Mitte. Unter dem Licht der Sonnen bildeten sich dort grünbläulich glänzende Kristalle. “Diamanten!”, rief einer aus unserer Mitte. Wir teilten auf, steckten sie in unsere Koffer. Die Wesen sahen uns an, schienen auf etwas zu warten. Auf was?, fragte ich mich. Was hatten wir ihnen zu bieten? Doch nur eines. Ich zog den Frack aus dem Gepäck und rief meinen Kollegen zu: “Zieht euch um! Wir singen!”

Unsere schönen deutschen Lieder. Dies war ein denkwürdiger und gleichzeitig beunruhigender Auftritt. Wir begannen mit Ännchen von Tharau.

...hat wieder ihr Herz auf micht gerichtet, in Liebe und Schmerz.”

Walters Augen, feucht schimmernde Kürbiskerne.

Während wir sangen, suchten mich Empfindungen heim, von denen ich nicht ahnte, dass ich ihrer fähig war, seit mich meine Frau verließ. Die Ballonwesen schienen in sich zu ruhen, bewegungslos, in Trance, und ich fragte mich: Waren sie es, die diese Gefühle auf uns projizierten?”

Walter hatte zu reden aufgehört. Glühwürmchen tanzten, Grillen zirpten, ein Specht trommelte seinen Abendgruss. Ich versuchte mich der hypnotischen Wirkung zu entziehen, die das Plätschern des Wassers, die Gitarrenklänge auf mich ausübten und fragte.

Habt ihr weiter gesungen?”

In der Mitte der Kuppel”, antwortete Walter, “bildeten sich weitere Diamanten. Für mich stand fest: Es war eine Aufforderung an uns, fortzufahren. Als wir ‘Im Wald und auf der Heide’ sangen, wuchs ein Wald in der Kuppel heran. Und nicht nur das. Auch die metallene Fläche außerhalb verwandelte sich in eine Forst- und Heidelandschaft. Dieser Szenenwechsel verwirrte uns. Es war, als veränderte der Inhalt des Textes die Umgebung. Und nicht nur das, auch unsere, und vermutlich die Empfindungen dieser seltsamen Wesen um uns herum. Wir nahmen uns vor, Lieder zu singen, die den Wald zum Inhalt hatten, um nicht durch ständige Wechsel von Landschaften aus dem Konzept gebracht zu werden. Nach etwa fünfzehn Liedern waren unsere Koffer mit Diamanten gefüllt.

Jetzt ist es genug”, meinte jemand. Wir warteten. Die Ballonwesen darauf, dass wir weiter sangen und wir hofften, dass sie uns dorthin zurück transportierten, wo wir her gekommen waren. Plötzlich verkrampften sich unsere Muskeln. Wir wälzten uns vor Schmerzen auf dem Boden. Stöhnend erhoben wir uns und stimmten ein neues Lied an. Die Schmerzen verschwanden. Doch nach den ‘Blauen Dragonern’ sank der erste von uns erschöpft zu Boden. ‘Es klapperte die Mühle’ und ein zweiter wurde ohnmächtig. Der ständige Wechsel der Umgebung machte auch uns, die weiter sangen, zu schaffen. Wir sangen ‘La Montanara’, zitterten unter der schneidenden Kälte hoher Berge, keuchten in dünner Luft und beobachteten, dass die Ballonwesen um uns herum an Umfang zunahmen. Sie stiegen ein paar Meter in die Höhe. Dann explodierte eines. Als das Lied verklang, und die Ballonmenschen zu Boden schwebten, rief ich: “Den Meier!” Wir sangen mit letzter Kraft: “Was macht der Meier auf dem Himalaya?” Ein zweites Wesen platzte. “Rauf da kummt er, aber wie kommt er wieder runter?” Die Fetzen eines dritten klebten auf der Kuppel, dann wurde es dunkel um mich.” Walter wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Die Erinnerung”, meinte er. “Was für ein Abenteuer”, und er fuhr fort: “Wir lagen in dem Tempel vor dem Götzenbild. Der Kikapu-Priester war verschwunden. Einer von uns rief: “Ich hatte eine Halluzination, befand mich in einer Kuppel... .”

Dann hatten wir sie alle”, unterbrach ich ihn. “Öffnen wir unsere Koffer.”

Diamanten! Wir sahen uns an und fanden, es sei das Beste, über diesen unglaublichen Vorgang kein Wort zu verlieren.”

Walter trank sein Bier aus und erhob sich. “Es ist spät.” Wir gingen ins Gebäude zurück.

Wir fanden das Boot am Ufer und warteten mit den anderen auf eine Passage nach Belèm.”

Bevor Walter in seinem Zimmer verschwand, sagte er: “Das Wrack liegt etwa drei Stunden hinter Obidos am rechten Ufer.”

Am Ufer wächst ein dunkler Punkt zu einem Schiffswrack heran. Walter, der mir den Inhalt seines Tresors zeigte, hatte auch hier nicht gelogen. Ich sehe auf meinen Koffer. Fünfzehn Korsetts und Schnürgeräte. Diese Wesen unter zwei Sonnen, sie sind rund. Richtig? Es sind Frauen. Nicht wahr? Und runde Frauen lieben Korsetts. Stimmt doch? Ich denke an Diamanten. Die Diamanten! Wir nähern uns.

La su per le montagne, fra boschi e valli d´or, tra l´aspre rupi echeggia un cantico d´amor.’

La Montanara. Meine Gedanken rasen durch den Text, den mir Walter gab. Meine Rückfahrkarte. Plötzlich fährt mir die Erkenntnis in die Knochen: Ballonfrauen im Korsett können nicht explodieren! Ich wische den Gedanken beiseite, klettere auf die Reling. Das Wrack zieht an mir vorbei. ‘Paryassu’. Ich ziehe den Koffer zu mir hoch und springe.



domenica, agosto 31, 2025

Minutennovelle: Zu spät


 

Zeit fliegt vorbei. Aber das weiß ja jeder Ältere. Je mehr Jahre man drauf hat, desto schneller ist sie. Schon komisch, dachte Eduard und sah Rich an. Sie hielten sich an ihrem Bier fest, im Garten des Restaurants. In Schneehausen. Der Monat war um. Vor einem Jahr sassen sie noch im Ibis-Hotel in Hamburg, und nun Schneehausen.

Elsa tauchte hinter einer Laube auf. Ihre Augen schimmerten rötlich, nahmen die Farben von Rosen an, die aus einer grünen Hecke hervorbrachen. Sie lächelte.

Hallo Elsa, toll dass du da bist.“ Eduard bot ihr einen Stuhl an. Rich sah sich um, dann blickte er auf die beiden.

Gaza“, bemerkte er. „Fürchterlich. Da ist was schief gelaufen.“ Rich kippte das Bier herunter. „Ich kam nicht umhin, mir Gedanken zu machen und fragte Gemini, die Google KI, wie man die Bevölkerung von vornherein aus dem Kriegsgebiet hätte entfernen können.“

Das ist, als ob Aliens auf der Erde einfallen.“ Eduard schüttelte den Kopf. „Wahnsinn.“

Ich fass es mal zusammen.“ Rich bestellte ein Bier. „Humanitäre Korridore, Bereitstellung von Nahrungsmitteln und Wasser, medizinische Hilfe und Notunterkünfte, langfristiger Plan für die vertriebene Bevölkerung.“

Aber keine Angriffe auf Zivilisten.“

Und die Hamas-Leurte sind nun alle Zivilisten.“ Elsa lehnte sich zurück. „Ich überlege, was ich zu mir nehmen soll.“ Elsa sah beide an. „Zu spät. Die Situation ist nicht mehr zu ändern.“

Elsa erhob sich. „Ich werde versuchen herauszufinden, wie es in unserer Nachbardimension aussieht. Vielleicht gibt es da noch Möglichkeiten.“ Sie sah beide an und nickte ihnen zu. „Meine Schwester ist nicht mehr dort, wo sie hingeflogen ist. Ich spüre es.“ Die beiden Männer blickten ihr nach.

domenica, agosto 24, 2025

Kurzgeschichte: Bach-Kantaten


  

Die Johann Sebastian Bach-Kirche mit ihren gotischen Fenstern und dem spitzen Glockenturm, die ehrwürdige Universitätsklinik und die schmucken Bürgerhäuser mit den überhängenden Dächern glichen dem Bild auf einer Ansichtskarte. Sekundenlang waren sie unter flackernden Blitzen zu erkennen.

Jan Vilmer blickte aus dem Fenster seiner Dachkammer. Ein Blitz fuhr in eine Linde, die mit anderen den Marktplatz säumte. Der Stamm zersplitterte. Krone, Äste und Zweige fielen auf die Straße, gaben die Sicht auf das Rathaus frei. Eine regennasse Fahne bewegte sich trauernd im Wind. Auf Halbmast erinnerte sie an das Grubenunglück vor einer Woche, das elf Menschen das Leben gekostet hatte.

Jan fühlte sich ausgebrannt. Am Schreibtisch blätterte er lustlos im Lehrbuch. Nervös justierte er den Lampenschirm. Der heulende Sturm, der trommelnde Regen, die klappernden Fensterläden machten es ihm unmöglich sich zu konzentrieren. Er dachte an den nächsten Morgen. Seit einem Monat arbeitete er in der neurologischen Abteilung der Klinik. Noch immer wusste er nicht, was er von seinem Chef halten sollte... .

"Auf welcher Seite ist das Hämatom?" Jan studierte das Röntgenbild auf dem Leuchtschirm und ging zum OP-Tisch, drehte den glattrasierten, mit Jod eingeriebenen Kopf des Patienten zur Seite. Der Mann war narkotisiert, das EKG summte vertrauenerweckend, der Anästhesist blickte gelassen auf den Blutdruckanzeiger.

Im ersten Jahr durfte Jan assistieren, ab dem zweiten würde er operieren dürfen, und was einen gekonnten Auftritt anging…, die Tür schwang auf und Professor Stammheimer stand mit erhobenen Händen im Saal. Schwestern eilten herbei, zogen ihm Kittel und Handschuhe über.

"Was haben wir denn hier?" Er blickte auf das Röntgenbild. "Subdurales Hämatom? Vilmer, das müssten Sie im Schlaf können." Jan antwortete nicht. Er war der Provokationen müde.

"Sagen Sie nichts. Ich weiß, Vilmer. Machen Sie sich nichts draus. Sie kommen noch früh genug dran. Wo wir gerade am subduralen Hämatom arbeiten, Vilmer, wir unterhalten uns nächste Woche über die anderen. Bereiten Sie sich darauf vor. - Skalpell!

Wie schön leuchtet der Morgenstern voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn."

Stammheimers Gesang ließ das Personal erschauern, dann fiel Doktor Frankengeist mit ein.

"Die süße Wurzel Jesse! Du Sohn David aus Jakobs Stamm, Mein König und mein Bräutigam."

Vor einer Woche hatte es begonnen, dass sie Stammheimer ‘die Singende Säge’ oder ‘Doktor Bach’ nannten. Jan zog mit den anderen den Kopf ein. Es nützte nichts. Bis auf die Patienten in Narkose, die Glücklichen, waren sie Stammheimers und Frankengeists infernalischem Gesang ausgeliefert. Ein rascher Schnitt, Stammheimer klappte die Kopfhaut zurück, fixierte sie mit mehreren Kopfschwarten-Clips. Die Schädelfraktur wurde sichtbar.

"Hast mir mein Herz besessen, lieblich, freundlich, schön und herrlich, groß und ehrlich, reich von Gaben, hoch und sehr prächtig erhaben. - Irrigator und Bohrer."

Eine Schwester richtete den Irrigator auf die Fraktur. Wasser sprühte auf die Stelle, wo sich der Bohrer in den Schädelknochen fraß. Blut sickerte aus der Öffnung.

"Knochenwachs." Widerlich, der Frankengeist, dachte Jan. Dessen Brille schob sich nach oben, während er aus voller Kehle singend das Bohrloch mit Knochenwachs abrieb.

"Skalpell!" Stammheimer machte einen Schnitt im Bohrloch.

"Erfüllet, ihr himmlischen göttlichen Flammen, die nach euch verlangende gläubige Brust! - Sauger!" Mit einem Ballonsauger pumpte er das angestaute Blut ab.

"Die Seelen empfinden die kräftigsten Triebe der brünstigsten Liebe. - Drainage." Die Schwester reichte ihm einen dünnen Schlauch, dessen Ende er in das Loch schob.

"Und schmecken auf Erden die himmlische Lust. - Nähzeug!" Stammheimer löste die Clips, ließ den Hautlappen über den Drainageschlauch an seinen Platz fallen und nähte die Wunde zu.

"War das alles, Herrschaften?" Stammheimer sah zu Jan hinüber, während ihm eine Schwester den Kittel auszog. "Vilmer, Visite in einer Stunde."

"Guten Morgen Herr Doktor." Der Pfleger Max grinste und verschwand in der Geschlossenen Abteilung, wo Stammheimer seine Privatpraxis unterhielt. Eine ältliche Krankenschwester ordnete die Instrumente im Behandlungszimmer.

"Schwester Hildegard, Neuzugänge?"

"Zwei Patienten, Dr. Vilmer." Sie legte die Aufnahmeformulare auf seinen Schreibtisch.

Doris Klee, Alter: 54, unfähig, linke Hand zu bewegen. Das zweite Formular stammte aus der Notaufnahme: Gerda Stromberg, Alter: 32, klagt über Lähmung und Gefühlsstörung des rechten Armes, des rechten Beines und über Taubheit im rechten Ohr.

Frau Klee. Diagnose war Routine. Reflexe, Schmerzempfindlichkeit, Bewegungen der Augen, Pupillen bei Lichteinfall: Normal.

"Neuropathie, Schwester. Notieren Sie das." Jan schrieb der Frau ein paar Übungen auf.

Bei Gerda Stromberg diagnostizierte Jan Hysterie. Nichts deutete auf eine organische Krankheit. Die Frau war verängstigt und ließ sich nicht von dem Gedanken abbringen, dass ihr Mann, der mit zehn anderen in den Kohlengruben umgekommen war, noch lebt.

"Frau Stromberg. Ich fühle mit Ihnen. Sie machen eine schwere Zeit durch." Jan sah, wie sich der ängstliche Ausdruck im Gesicht der jungen Frau auflöste. Sie war auf psychiatrischeBehandlung angewiesen, doch Stammheimer bevorzugte die Knochensäge. Jan betrachtete ihr streng zurückgekämmtes, zu einem Knoten gebundenes dunkles Haar, den zarten Teint, ihr süßes Gesicht und seufzte.

Zwei Stunden später folgte Jan mit den anderen Ärzten Stammheimers wehendem Kittel.

"Na, wen haben wir denn da?" Stammheimer griff nach dem Krankenblatt. Seine imposante Statur, das runde Gesicht strahlten Vertrauen aus, als er vor Frau Stromberg stand, die ängstlich zu ihm hochblickte. Er lächelte gütig. ‘EST’, wettete Jan mit sich selbst und wartete.

"Wir machen eine EST, danach geht es Ihnen wieder besser." EST, Elektroschocktherapie. Die Neurochirurgie warf lange Schatten, unter denen Psychotherapie nicht gedeihen konnte. Als Gerda Stromberg am Vormittag ins Behandlungszimmer gebracht wurde, nahm Jan sich vor, sie zu befragen.

"Frau Stromberg, wie geht es Ihnen?" Die Frau lächelte resigniert.

"Können Sie sich bewegen?" Vergeblich versuchte sie vom Rollstuhl hochzukommen.

"Es geht nicht."

"Wieso meinen Sie, Ihr Mann lebt noch?"

"Manchmal höre ich seine Stimme in meinem Kopf."

"Was sagt sie?"

"Gerda, wo bist du? Hilf mir, ich brauche dich! Hier sind nur Verrückte."

"Was meint er damit, Frau Stromberg?" Die Frau schluckte.

"Ich weiß es nicht. Mein Mann ist religiös. Er hat im Kirchenchor gesungen und kennt sämtliche Bach-Kantaten. Wie wird er das vermissen!"

"Frau Stromberg, entspannen Sie sich." Seltsam. Jan dachte an Stammheimers grauenhaften Gesang im OP. Wann hatte der damit angefangen? Schwester Hildegard befestigte die beiden Elektroden an Frau Strombergs Stirn. Jan injizierte Succinylcholin, um zu verhindern, dass die Konvulsion auf ihren Körper übergriff, dann jagte er der Frau zwei Sekunden lang Strom durch das Gehirn.

"Frau Stromberg, wie fühlen Sie sich?"

Die Frau blickte ihn verwirrt an.

"Was ist? Wo bin ich?" Jan nahm vor ihr Platz.

"Ich bin Doktor Vilmer, und Sie sind Gertrud Stromberg. Wir haben Sie einer Elektroschocktherapie unterzogen. Wie fühlen Sie sich?" Jan zog die Elektroden von ihrer Stirn.

"Ich weiß nicht. Wieso bin ich hier?"

"Sie hatten ein psychisches Problem und konnten sich nicht bewegen. Versuchen Sie aufzustehen." Frau Stromberg stemmte sich hoch.

"Wunderbar, mit dem Arm klappt es. Nun gehen Sie ein paar Schritte." Die Frau versuchte einen Schritt nach vorn zu machen. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie auf Jan fiel und ihn vom Sitz riss. Auf dem Linoleum berührten sich ihre Gesichter. Was für schöne Augen! Jan blickte auf die zart geschwungenen Lippen ihres Mundes. Ich möchte sie küssen! Jan erschrak, als die Tür aufging. Er hob seinen Kopf und blickte auf ein paar Schuhe.

"Vilmer, was machen Sie denn da unten? Kommen Sie, Frau Stromberg." Stammheimer zog die Frau hoch und setzte sie in den Rollstuhl.

"Hat die EST gewirkt? Können Sie Ihre Beine bewegen?"

"Nein."

"Dann machen wir noch eine." Stammheimer setzte die Elektroden auf die Stirn der Frau, gab ihr einen Gummiknochen.

"Den stecken Sie in ihren Mund, damit Sie sich nicht auf die Zunge beißen." Stammheimer drehte die Spannung höher und legte den Schalter um.

"Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd! Eh’ noch Aurora pranget, eh’ sie sich an den Himmel wagt…." Schwester Hildegard blickte Stammheimer entgeistert an. Nie hatten sie ihn bei einer EST singen hören.

"… hat dieser Pfeil schon angenehme Beute erlanget." Konvulsionen schüttelten die Frau. Ihre Hände umkrampften die Lehnen des Rollstuhles. Das Succinylcholin wirkte nicht mehr. Stammheimer schob den Schalter zurück.

"Versuchen Sie Ihr rechtes Bein zu bewegen."

"Wo ist mein rechtes Bein?" fragte Frau Stromberg verwirrt.

"Hier." Stammheimer tippte mit dem Finger darauf. Es war nach wie vor gelähmt.

"Jagen ist die Lust der Götter." Stammheimer erhöhte die Spannung. Ein neuer Stromstoss schoss durch das Gehirn der Frau. Alle Neuronen feuerten zugleich. Schwester Hildegard und Jan wirkten versteinert. Sie sahen, wie der Kopf der Frau zuckte und unter den Entladungen hin und her geschleudert wurde. Spasmen breiteten sich über ihren Körper aus. Die Augen traten aus den Höhlen. Es roch nach verbranntem Fleisch.

"Professor, hören Sie auf!" Jan riss den Stecker aus der Dose. Frau Stromberg hing bewusstlos im Rollstuhl. Stammheimer nahm der Frau die Elektroden ab. Mit gelangweiltem Blick betrachtete er die Anschlüsse, die daran festgebackene Haut, dann ging er zur Tür und wandte sich noch einmal um.

"Prüfen Sie, ob es gewirkt hat. Mehr konnte ich nicht tun. Wenn das nicht hilft, machen wir eine Lobotomie."

Während die Schwester die Wunden auf der Stirn versorgte und der Patientin ein Schmerzmittel spritzte, schlug diese die Augen auf.

"Wo bin ich? Wer sind Sie?"

"Ich bin Doktor Vilmer, und Sie sind Gertrud Stromberg. Wir haben Sie einer Elektroschocktherapie unterzogen. Schwester Hildegard wird Sie zu ihrem Bett zurückbringen. Wir sehen uns heute Abend."

Als Jan zum Nachtdienst im Behandlungszimmer auftauchte, entlud sich erneut ein Gewitter. Jan zog sein Lehrbuch aus der Aktentasche, setzte sich an den Tisch und schlug das Kapitel über Intrazerebrale Hämatome auf, als jemand an die Tür klopfte. Max, der Pfleger, stand im Gang und trat aufgeregt von einem Bein aufs andere.

"Herr Doktor, kommen Sie. Unsere Patienten sind vollkommen außer sich. Ich kann es mir nicht erklären."

"Max, was ist denn, sind sie wahnsinnig geworden?" Jan lachte über seinen Scherz. Max öffnete die schwere Eisentür der Geschlossenen Abteilung. Die beiden Männer stürmten durch den Aufenthaltsraum in den Gang. Licht flackerte im Korridor. Pfleger standen vor den Türen.

"Sehen Sie hier!" Max deutete auf das Fenster der ersten Tür. Männer lagen mit aufgerissenen Mündern zuckend in ihren Betten. Max rannte weiter. "Und hier!" rief er, deutete auf eine andere Zelle, in der ein Mann ständig versuchte, die Wand hochzulaufen. Doktor Frankengeist stürzte aus einem Zimmer.

"Stammheimer spielt Orgel!" rief er ihnen zu. Gemeinsam liefen sie zum Ende des Ganges. Das Licht erlosch. Gewitter. Jan riss die Tür zu Stammheimers Praxis auf. Grauenhafte Orgelklänge, marternder Gesang.

"Mein Kummer nimmet zu und raubt mir alle Ruh.

Mein Jammerkrug ist ganz mit Tränen angefüllet,

und diese Not wird nicht gestillet…". Dunkle Umrisse eines Mannes hoben sich vom Feuer der Blitze ab. Schwankend wie ein Betrunkener bearbeitete er mit weit ausgreifenden Bewegungen eine Orgel.

"so mich ganz unempfindlich macht. Der Sorgen Kummernacht

drückt mein beklemmtes Herz darnieder, drum sing ich lauter Jammerlieder." Das Licht flammte auf.

"Der Gesang macht die Patienten verrückt!", schrie Frankengeist über das Orgelspiel hinweg.

"Das sind sie doch schon!", rief Max zurück.

"Wieso denn das?", fragte Jan konsterniert.

"Der Gesang dringt durch das Kommunikationssystem!", brüllte Frankengeist. "Er muss damit aufhören!" Frankengeist riss Stammheimer von der Orgel weg. Mit einem lauten Geräusch fiel der Deckel über die Tasten. Keuchend rangen die Männer miteinander. Stammheimers Hände umschlossen Frankengeists Hals. Dessen Hand tastete über das Instrument, griff nach einem Leuchter und ließ ihn auf Stammheimers Schädel niedersausen. Polternd schlug dessen Körper auf den Boden. Schwer atmend stand Frankengeist über ihm, beugte sich hinab und tastete nach seiner Halsschlagader.

"Er ist tot." Jans Blick fiel auf einen roten Schalter.

"Wofür wird der benutzt?"

"Das Kommunikationssystem." Sie schwiegen. Ihr Chef war tot, was waren sie ohne ihn? So dachten sie wohl alle. Ein glucksendes Geräusch durchdrang die Stille. Jans Blick richtete sich auf ein Aquarium. Wo waren die Fische?

"Max, sehen Sie!" Jan zeigte auf ein Gehirn in dem gläsernen Tank, das in der bräunlich trüben Flüssigkeit kaum zu sehen war. Luftblasen stiegen nach oben.

"Frankengeist, wer ist das?"

"Heinrich Stromberg, einer der Verunglückten."

"Wieso ist er hier?"

"Stammheimer versuchte ihn am Leben zu erhalten."

"Und? Lebt er?"

"Sicher, die Nährflüssigkeit war Stammheimers Erfindung. Er hat ein Geheimnis daraus gemacht." Frankengeist tunkte einen Finger in die Flüssigkeit, steckte ihn in den Mund. "Probieren Sie mal. Schmeckt wie Maggi." Jan machte es ihm nach.

"Die Größe einer Erfindung liegt in ihrer Einfachheit. Woran hat man erkannt, dass Stromberg lebt?"

"Er hat mit Stammheimer kommuniziert."

"Und lässt ihn Bach-Kantaten singen," stellte Jan fest. Max näherte sich dem Aquarium.

"Doktor Frankengeist. Warum haben Sie das Gehirn nicht entsorgt? Professor Stammheimer wäre normal und die Marter mit den Kantaten wäre uns erspart geblieben. Nun, das hole ich jetzt nach." Er langte in die Flüssigkeit.

"Vorsicht!" schrie Frankengeist. Zu spät, Max bewegte sich nicht mehr.

"Stromberg hat ihn gelähmt!" Sie starrten auf das Gehirn, jeder von ihnen war mit Angst erfüllt.

"Wartet einen Augenblick!"

Jan flog aus dem Raum, rannte den Gang entlang, jagte durch den Aufenthalt, den Korridor der Neurologie, ergriff einen Rollstuhl und fuhr ihn in den Saal, in dem Gerda Stromberg lag.

"Frau Stromberg," keuchte er. "Ich habe eine gute Nachricht für Sie, Ihr Mann lebt! Kommen Sie", und er stellte den Rollstuhl neben ihr Bett, "ich bringe Sie zu ihm." Die Frau war außer sich vor Freude. In aller Hast schob Jan den Rollstuhl mit Frau Stromberg Richtung Stammheimers Praxis und riss die Tür auf. Freudig sprang die Frau aus dem Stuhl und ging einige Schritte. Sie konnte gehen! Sie konnte gehen!

"Wo ist mein Mann?" Mit glänzenden, tränenfeuchten Augen blickte sie um sich. Stammheimer lag vor der Orgel auf dem Boden. Ein glucksendes Geräusch durchbrach die Stille. Im Aquarium stiegen Luftblasen empor. Frau Stromberg ging näher an den Behälter heran.

"Was ist das?" Max schüttelte den Kopf, als wäre er aus einem bösen Traum erwacht. Er deutete mit dem Kopf zum Aquarium.

"Ihr Mann, Frau Stromberg!" Mit einem Schrei brach die Frau zusammen, schlug mit dem Kopf gegen die Tischkante und stürzte zu Boden. Jan beugte sich zu ihr hinab. Ihr Kopf war seltsam abgeknickt.

"Max, helfen Sie mir!" schrie er. Während Jan und Max versuchten, die Frau ins Leben zurückzuholen, erlosch das Licht. Heftig atmend erhoben sie sich und gingen für einen Augenblick zum Fenster, sahen den Blitzen zu, die ein leuchtendes Netz über die Wolken spannten.

"Nichts zu machen," sagte Jan mehr zu sich selbst. Wie konnte er dem Gehirn sein Beileid aussprechen? Sie beobachteten, dass es grün phosphoreszierte und zu pulsieren begann.

"So sieht er aus, wenn er wütend wird!," schrie Frankengeist. "Bringen wir uns in Sicherheit!"

"Woran sieht man, dass er aktiv wird?" fragte Jan.

"Wenn seine Farbe von grün auf rot wechselt!"

"Kein Gelb? Und seine Reichweite?"

"Die halbe Stadt! Ich verschwinde." Frankengeist lief aus dem Raum. Von weitem hörten sie ihn rufen: "Seht doch, was er mit Stammheimer angestellt hat!" Jan schüttelte den Kopf.

"Ich werde nicht davonrennen. Irgendjemand muss die Stellung halten! Max, bringen wir die beiden Toten in den OP." Gemeinsam wuchteten sie Frau Strombergs und Stammheimers Leichen auf den Rollstuhl. Während Max sich auf den Weg machte, durchsuchte Jan die Teeküche und fand eine Suppenkelle, zwei Bowleschüsseln vom letzten Betriebsausflug. Er stellte sie auf einen Servierwagen und fuhr sie zum Aquarium, aus dem er Nährflüssigkeit in die Schüsseln füllte. Schnellen Schrittes schob Jan den Servierwagen in den OP.

"Was machen wir jetzt?" Jan sah Max fragend an. Hier half kein Lehrbuch. Er gab sich einen Ruck. Sie legten Frau Stromberg auf den OP-Tisch. Jan setzte die handliche Kreissäge in Betrieb. Es war, als mache ihm jemand Mut, und plötzlich schien alles so einfach.

"Ächzen und erbärmlich weinen hilft der Sorgen Krankheit nicht." Das Kreischen der Säge wurde durch den Gesang übertönt, als Max kräftige Stimme mit einfiel.

"Aber wer gen Himmel siehet und sich da um Trost bemühet." Jan nahm die Schädelkalotte ab, dann sägte er an der hinteren seitlichen zur vorderen seitlichen Fontanelle entlang.

"Dem kann leicht ein Freudenlicht in der Trauerbrust erscheinen." Jan brach mit einer Zange die restlichen Knochen weg. Das Gehirn lag frei. Er trennte Stammhirn vom Rückenmark und legte es in eine der Schüsseln.

"Max, bringen Sie Frau Stromberg zu ihrem Mann. Die beiden haben erst mal genug mit sich zu tun. Ich kümmere mich um Stammheimer."

Während Max mit Frau Strombergs Gehirn verschwand, legte Jan Stammheimers Denkapparat frei, deponierte ihn in der zweiten Schüssel. Als er mit dem Servicewagen in Stammheimers Praxis ankam, hatte Strombergs Gehirn wieder seine natürlichgraue Farbe angenommen. Das Gehirn seiner Frau schien normal. Es war offensichtlich, in der Nähe ihres Mannes fühlte es sich wohl. Es änderte sich auch nichts, als er Stammheimers Hirn in die Lösung versenkte.

Einige Monate waren verstrichen. Das Minenunglück war kein Gesprächsthema mehr, der Tod Professor Stammheimers und Frau Strombergs nie eines gewesen. Dafür hatten sie gesorgt: Stromberg, seine Frau und Stammheimer. Stromberg und seine Frau hatten sich, und Jan wusste: Stammheimer war und blieb Chef der Neurologie. Jan hatte seine Lehrbücher in die Ecke gefeuert. Er brauchte sie nicht mehr.

Im OP waren die Vorbereitungen in vollem Gange. Die Tür schwang auf, Doktor Vilmer stand mit erhobenen Händen im Saal. Schwestern eilten herbei, zogen ihm Kittel und Handschuhe über.

"Was haben wir denn hier?" Er blickte auf das Röntgenbild. "Posttraumatischer Hydrozephalus?" Sein Blick fiel auf den neuen Assistenzarzt. "Beobachten und lernen Sie.

Skalpell! - Wie schön leuchtet der Morgenstern," und das OP-Team fiel freudig ein: "voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn."


domenica, agosto 17, 2025

Minutennovelle: Noch einer... (Abenteuer der Poseidon)


 "Noch einer". Das Schiff war lakonisch.

Grönländer riss die Augen auf. "Was?", fragte er.

"Wasserplanet".

Krazny, Navigator, wischte das Schachprogramm vom Schirm, schob das des Schiffes drauf und fragte, "Da wollen wir wohl doch nicht hin?"

Hindusch, der Erste Offizier lachte: "Hör dir das mal an".

Gefangen in maurischer Wüste

sitzt ein Krieger mit schwermütigem Blick

Die Schwalben sind heimwärts gezogen

oh wann kehren sie wieder zurück.

Das Schiff: "Friedel Hensch und die Cyprys. Der Fremdenlegionär“.

Seltsam. Aus welcher Zeit? „Wo kommt das her?“ Grönländer war verwirrt.

Vom Wasserplaneten“, erwiderte das Schiff.

Na, dann...“. Das Schiff war auf dem Weg.


Fast vollständig bedeckt. Der Planet. Mit Wasser. Eine felsige Insel schob sich auf dem Schirm hervor.

Landung. Hügel, Steine. Auf dem Schirm sahen sie eine in Felsen eingehauene Öffnung, eine Fläche, auf der sich zwei menschliche Gestalten räkelten.

Die Luft ist atembar.“ Das Schiff öffnete die Luke. Grönländer, Krazny und Hindusch kamen aus dem Schiff hervor, gingen auf die Liegenden zu.

Guten Tag“, sagte eine. `Wow, was war das?´, dachte Krazny.

Deutsch“. Das Schiff fügte hinzu: „Ist ein Roboter.“

Ich bin Christine“. Die andere, eine Frau. Sie erhob sich und gab jedem die Hand. ´Nun, eher Flosse`,  dachte Hindusch, als er deren grünlich glitzernde Schuppen betrachtete. Ein Stachelkamm zog sich über ihren Kopf.

Ich leiste Elsa Gesellschaft. Da sie aus Metall ist, kann sie es sich nicht leisten, lange im Wasser zu bleiben. Wir haben die Insel aus dem Wasser gezogen, und ihr hier eine Bleibe errichtet.“

Mit Steckdose, an der ich mich aufladen kann.“ Elsas Augen flackerten. “Ich bin verwirrt. Wo kommt ihr denn her?“

Von einem anderen Wasserplaneten, aber ursprünglich von der Erde.“, übersetzte das Schiff aus der Worldlanguage.

Voller Quallen“, Krazny schüttelte sich. „Sie bekämpften und fraßen sich gegenseitig, hatten es auch auf uns abgesehen.“

War hier auch so“, bemerkte Elsa. „Cthulhu strahlt planetare Ruhe aus. Quallen konnten nicht anders als stillhalten und verhungern.“

Cthulhu?“, fragte Hindusch.

Erkläre ich später“, sagte das Schiff. „Es ist Zeit. Wir fliegen wieder los.“

Kann ich mit?“, fragte Elsa. ´Toll“, dachte Krazny. ´Sie hat die Worldlanguage drauf.“

Mir wird es auf dieser Insel zu öde, und Christine kann mir auch nicht ständig Gesellschaft leisten. Außerdem fällt mir das Gedudel auf den Keks.“

Wir haben eine Kabine frei.“ Grönländer lächelte. „Mit Steckdose.“ Er kratzte sich am Kopf. Aber wo kommt die ausgestrahlte Musik her?“

Aus dem Cthulhu Tempel, in dem er schläft. Er muss sie aufgenommen haben, als er in den 50er Jahren für langere Zeit wach lag.“ Elsa drehte sich um und ging auf das Loch im Felsen zu. „Ich hole nur ein paar Sachen hervor, bin eher ein Chuck Berry Fan.“ Dann war sie verschwunden.

Eine halbe Stunde später hob das Schiff ab.