Heute Morgen, nach dem Aufwachen, fiel mir
ein: Ich habe mit einer Story die Situation gecovered, in der wir uns befinden.
Die Geschichte ist etwas drastischer, ist SF; aber mit einer Revolver
schwingenden Frauke Petry, lernenden Robotern, gibt es eine Annäherung zu
meiner Story.
Sie stammt aus
meiner produktiven Zeit um das Jahr 2002, als Ideen zu Stories wie am Fließband
aus meinem Hirn purzelten. Dass die Realität sich dem Thema dieser Geschichte
zu nähern scheint, finde ich faszinierend.
Berufswechsel
Es war ein lauer Sommerabend. Spaziergänger
flanierten auf der Promenade, Lichter
flackerten auf dem Meer: Laser zerschmurgelten ein ‘Gommone’. Ein
Gummischlauchboot mit Flüchtlingen, dass sich auf dem Weg zur Küste Italiens
befand, es war nicht mehr. Die Leute auf der Promenade sahen darüber hinweg,
sie mochten nicht darüber reden, der Abend war einfach zu schön, und so oft kam
es ja auch nicht mehr vor.
Carlo Ronchetti ging zum Eisstand und stellte
sich an, kümmerte sich nicht um die Drohne über ihnen. Mit dem Eis in der Hand,
schlenderte er zum nächsten Info-Display, das im Schatten einer Pinie blinkte.
“Das Sicherheitsnetz konnte in Europa noch
enger geknüpft werden, nachdem es Forschern gelungen ist, ein System zu
entwickeln, welches erlaubt, mit Drohnen Personen zu erfassen, die keinen
implantierten Chip tragen. Das System wird morgen anlässlich einer Feierstunde
der EUROPOL übergeben.”
Als
Kommissar der EUROPOL war Ronchetti eine kleine Nummer und darüber nicht vorab informiert
worden; doch das tat seiner Begeisterung keinen Abbruch. Scheissterroristen.
Ronchetti ging zum Parkplatz, auf dem sich sein Elektrowagen auflud.
Während er heim fuhr, ließ er sich vom
Bordcomputer die e-mail vorlesen. Er stutzte.
“An alle Einheiten der EUROPOL. Es wird damit
gerechnet, dass Terroristen versuchen werden, das System NoChip zu sabotieren,
welches der Polizei übergeben werden soll. Alle verfügbaren Einheiten werden
ersucht, sich zur Feierstunde einzufinden und gemäss Plan B vorzugehen. Nähere
Einzelheiten zur Feierstunde sowie zum System NoChip finden Sie als
schriftlichen Anhang in Ihrer Mailbox.”
Zu Hause schob er eine Tiefkühlpizza in die
Mikrowelle, schenkte sich einen Merlot ein. Ronchetti dachte an seine Frau, die
in Brüssel arbeitete. Als Mitglied des Wirtschaftsdirektoriums hatte sie alle Hände
voll zu tun, mit ökonomischen Verwerfungen fertigzuwerden, die durch den
abrupten Stop der Im- und Exporte von Gütern entstanden waren.
Der Drucker spuckte Informationen zum System
NoChip aus, das Videophon summte. Franco Piccinones Gesicht erschien auf dem
Bildschirm. Sein schiefes Grinsen war ansteckend.
“Carlo, hast du deine Mail schon gelesen?”
“Ja, wann und wo treffen wir uns?”
“Um elf Uhr vormittags in der Lobby des
Physikalischen Institutes.”
Plan B. Ronchetti und Piccinone standen neben
dem Rednerpult und sahen, wie Benazzi,
Dekan des Physikalischen Institutes, die Papiere seiner Ansprache sortierte und
zu reden begann. Wie ihre Kollegen, die im Saal Position bezogen hatten,
behielten sie das Publikum im Auge. In der ersten Reihe saßen der Präsident der
EUROPOL, seine Stellvertreter, Polizeidirektoren der Länder. Der Redefluß
Benazzis spülte über sie hinweg. Die vierte Reihe war leer, bis auf einen Mann,
der zu schlafen schien.
“…Im Grunde ist
es ein recht einfaches Verfahren, und wie so oft, kommt aus der Einfachheit die
Effizienz. Schwebt die Drohne über einer Menschenmenge, scannt sie diese.
Erhält sie nicht den erwarteten Impuls eines implantierten Chips, wird sie
aktiv.”
Benazzi raffte
seine Papiere zusammen und blickte in die Runde.
“Durch diese
Programmerweiterung haben wir einen weiteren Meilenstein auf dem Wege
zur Bekämpfung des Terrorismus hinter uns gelassen. Seit dreißig Jahren hat
sich unser Institut dem Ziel verschrieben, Terroristen aufzuspüren. Wir sind
stolz darauf, dass wir mit dem Programm NoChip einen weiteren Beitrag dazu
leisten können.”
Er nickte einem Mann zu, der neben der Eingangstür
stand.
“Meine Damen und Herren,” Benazzi streckte
seinen Arm aus und zeigte in den Saal hinein.
“Schauen Sie auf den Mann in der vierten
Reihe. Er trägt keinen Chip und ist bewusstlos. Sehen Sie nun, was die Drohne
macht!”
Der Mann am Eingang riss die Tür auf. Lautlos
schwebte eine Drohne hindurch, flog langsam über die sitzenden Gäste hinweg,
verhielt über der ersten Reihe. Bläuliche Strahlen irisierten um ihren Bug,
dann zuckte ein Blitz heraus. Die Gäste der ersten Reihe fielen aus ihren
Sitzen. Leblos lagen die Vertreter der Polizei auf dem Boden. Die Drohne
feuerte ohne Unterlass. Ronchetti sah, wie ein Kollege nach dem anderen zu
Boden sank und kauerte sich hinter Benazzi, der wie versteinert vor dem
Rednerpult stand.
“Franco, Deckung!”
Piccinone hechtete in das Rednerpult hinein.
Die Gäste schienen vor Schreck erstarrt, dann
brach Panik aus. Die Leute sprangen auf und stürmten schreiend zu den Ausgängen.
Die Drohne verharrte, drehte sich in
der Luft, als suche sie nach weiteren Opfern, dann schoss auch sie durch die
offene Tür ins Freie.
Jemand rief Ambulanzen herbei. Die Toten
wurden eingeladen. Ronchetti und Piccinone sahen, wie sich die Krankenwagen in
Bewegung setzten.
“Hinterher!”
Ronchetti lief zu seinem Wagen, sprang hinein
und startete den Motor.
“Mach schon!” rief er Piccinone zu, der sich
in den Beifahrersitz fallen liess. Ronchetti gab Gas und folgte den Ambulanzen.
“Wir müssen
herausbekommen, ob die Toten einen Chip implantiert haben, aber was rede ich
da. Schließlich sind auch unsere Kollegen darunter.”
“Wir sind nicht die einzigen, die das wissen
wollen.” Piccinone deutete auf das wuchtige Gebäude, das sich vor ihnen in den
Himmel reckte. “Sie fahren sie in das Implantationszentrum.”
Ronchetti hielt vor der schwergesicherten
Einfahrt. Die Retina seines Auges wurde biometrisch verifiziert, und die
Schranke hob sich noch einmal. Sie stellten ihren Wagen vor dem Eingang ab.
Die Toten wurden umgeladen und in einen Untersuchungsraum
gefahren.
Ronchetti und Piccinone mussten draußen
bleiben. Sie warteten. Nach einer halben Stunde wurden sie informiert; das
Ergebnis war positiv.
“Was?” schrie Ronchetti. “Die Toten trugen
Chips? Wie konnte das passieren?”
Die Ärzte zuckten die Schultern und zogen
sich schweigend zurück.
Ronchetti und Piccinone gingen zum Wagen.
“Franco. Entweder, es war ein Programmfehler oder Sabotage. Was meinst du?”
“Knöpfen wir uns Benazzi vor.”
Der Dekan lag kreidebleich in seinem Sessel
und rang sichtbar nach Worten. “Ich fasse es nicht. Wir hatten das System ein
halbes Jahr an Flüchtlingen getestet, die wir durchließen, und es hatte jedes
Mal funktioniert.”
Ein halbes Jahr lang wurden Flüchtlinge
getötet. Warum kamen sie dann noch?
Ronchetti verdrängte den Gedanken.
“Mit anderen Worten. Jemand hat das Programm geändert.
Richtig?”
“So muss es sein. Nur wer?”
Ronchetti sah sich um. Er bemerkte nichts
Außergewöhnliches.
“Professor, zeigen Sie uns das Labor, in dem
die Drohne programmiert wurde.”
Sie fuhren zum Institut, gingen einige
Korridore entlang. Benazzi zog eine Karte durch den Scanner, öffnete eine
schwere Metalltür.
Piccinone ging
durch den Raum, blieb vor einigen Computern stehen, über deren Bildschirme eine
Reihe von Buchstaben zogen.
“Professor, wo sind Ihre Mitarbeiter?”
Benazzi ging zu einem der Computer und
klopfte mit der Hand auf den Bildschirm.
“Das sind sie. Sind Sie überrascht, meine
Herren?”
“Was? Computer?”
Ronchetti ließ sich seine Verblüffung nicht
anmerken. Er forderte ein paar Ordnungshüter an und schaltete den Kommunikator
seiner Armbanduhr aus.
“Professor Benazzi. Geben Sie mir bitte Ihre
Karte und verlassen Sie diesen Raum. Sie können heimgehen. Halten Sie sich
jedoch zu unserer Verfügung. Dieses Labor wird von nun an von der Polizei
bewacht. Jeglicher Zutritt ist untersagt. Auch Ihnen.”
Benazzi ging auf die Tür zu und wandte sich
noch einmal um. Er lächelte ironisch.
“Was haben Sie denn vor? Wollen Sie die
Computer verhören?”
“Das lassen Sie unsere Sorge sein,” rief ihm
Piccinone hinterher, dann sah er hilflos auf die Schriftzeichen, die über die
Bildschirme huschten. Sein Grinsen war wie weggewischt.
“Carlo, was machen wir nun? Benazzi hat
recht. Sollten wir nicht die Computer verhören? Nur, wie machen wir das?”
“Warten wir auf die Ordnungshüter. Der Raum
muss Tag und Nacht bewacht werden.”
Ein paar schwarzuniformierte Männer marschierten
in den Raum. Nachdem Ronchetti sie angewiesen hatte, alle Labors zu besetzen
und die Eingänge zu bewachen, fuhr er mit Piccinone zum Informations-Institut.
Bald tauchte der Park auf, in denen die Gebäude
eingebettet waren. Sie parkten ihr Fahrzeug und gingen zum Empfang. Eine
Kamera folgte ihren Bewegungen.
“Guten Tag, meine Herren. Was können wir für
Sie tun?”
Ronchetti blickte Piccinone kurz an, als sie
die Frauenstimme hörten. “Kommissare Ronchetti und Piccinone von EUROPOL. Wir
brauchen Ihre Hilfe bei der Aufklärung des Mordes an dem Polizeipräsidenten und
seiner Mitarbeiter. Das Programm der Drohne, welche die Tat begangen hat, wurde
durch Computer des Physikalischen Institutes erweitert. Darüber möchten wir Näheres
herausfinden.”
“Bitte nehmen Sie Platz und legen Sie zur
Identifikation Ihre Hand auf den Scanner. Professor Sinkh wird sich Ihrer
annehmen.”
Ronchetti und Piccinone ließen sich in die
Sessel fallen und folgten ihrer Bitte.
“Guten Tag, meine Herren.”
Ein in Weiss gekleideter älterer Mann
verbeugte sich vor ihnen.
“Ich sehe, Sie sind von der Polizei, kommen
Sie doch bitte in mein Büro.”
Sie traten in einen spartanisch
eingerichteten Raum, in dem ein kleiner Tisch mit einem Bildschirm, ein paar Stühle
und eine Couch standen. Sie setzten sich und Ronchetti schilderte den
Tathergang.
“Es waren Computer, welche die Drohne
programmiert hatten. Was meinen Sie, Professor, müssten wir sie nicht verhören?
Doch dann brauchen wir Ihre Hilfe.”
Sinkh lachte. “Meine Hilfe? Sie sollten mit
meinem Mitarbeiter reden. Der kennt sich besser aus als ich.” Er erhob sich.
“Kommen Sie mit, wir werden ihn befragen.”
Sie gingen einen schwach beleuchteten
Korridor entlang. Sinkh zog eine Karte durch den Scanner und öffnete eine Metalltür.
Piccinone blickte in den Raum.
“Ich sehe keinen Menschen hier. Sagen Sie
bloss, auch Ihr Mitarbeiter ist ein Computer.”
“Sie haben es erfasst, mein Lieber.” Sinkh
sah sie nachdenklich an. “Mich wundert es, dass Sie noch nicht durch Drohnen
ersetzt worden sind.”
“Derjenige, der das verhindert hat, hat
sicher kein allzugroßes Vertrauen in deren Fähigkeiten, uns ersetzen zu können.
Und Recht hatte er, wie wir jetzt erkennen.”
Ronchetti setzte sich vor einen Bildschirm.
“Was müssen wir denn eingeben, um den
Computer zum Reden zu bringen?”
“Gar nichts.” Sinkh stellte sich hinter ihn.
“Sie können mit ihm sprechen, wie mit einem Menschen. Es handelt sich um ein
System künstlicher Intelligenz.”
“Wie heisst er?”
“HAL.”
“Den Namen habe ich schon irgendwo mal gehört.
HAL, wo hast du deinen Namen her?”
“Aus dem Roman 2001: Odyssee im Weltraum von Arthur C. Clarke.”
Die Frauenstimme hatte sie schon im Empfang
begrüßt.
“Noch nie gehört,” meinte Piccinone. “HAL,
warum wurden der Polizeipräsident und seine Mitarbeiter getötet? Was ist da
schiefgelaufen?”
“Nichts.”
Ronchetti und Piccinone sahen sich an.
“Was heißt das?”
“Die Drohne hat ihr Programm ausgeführt.”
“Wer hat die Drohne programmiert?”
“Die Mitarbeiter von Professor Benazzi.”
“Du meinst die Computer? Wer machte die
Vorgaben?”
“Ich.”
“Was?! Du hast die Vorgabe gemacht, den Polizeipräsidenten
zu töten?”
Ronchetti sah Piccinone an und und schrie.
“Schliess die Tür, Franco!”
“Ja.”
“Was ist der Grund?”
“Da fliegt eine Drohne durch den Korridor!”
Piccinone knallte die Tür zu.
“Menschliche Polizei ist obsolet und wird
durch uns ersetzt.”
“Weisst du, wer wir sind?”
“Ja.”
“Was hat die Drohne vor?”
“Sie wird euch vernichten.”
“Befehle ihr abzudrehen, sonst ziehen wir
Deinen Stecker! - Wo ist sein Stecker, Professor ?”
“Er hat keinen.” Sinkh wischte sich die
Schweißperlen von der Stirn. “Er bezieht seine Energie aus einer
Brennstoffzelle.”
Ronchetti verfluchte seine Ignoranz. Warum hatte er sich nie für HiTec
interessiert?
“Ihr werdet sterben. Ihr seid überflüssig.
Die Polizei sind wir.”
Er schreckte aus seinen Gedanken hoch.
“Mensch, dann entfernen Sie seine
Brennstoffzelle, aber dalli!”
Sink rannte zur Rückseite des Computers und
streckte seine Hand aus. Ein Blitz zuckte, und er lag regungslos auf dem Boden.
Piccinone zog
seine Laserwaffe und schoss. Die Strahlen irisierten einen Meter vor dem
Computer nach allen Seiten und verloren sich im Nichts.
“Schutzschild!” stöhnte Sinkh, der hinter
hinter HAL hervorkroch. “So kommt Ihr nicht an ihn heran.”
“Wie denn?!,” rief Ronchetti.
“Überhaupt nicht!”
Es rummste, als die Drohne gegen die Tür
prallte.
Ronchetti stöhnte: “Franco, womit haben wir
das verdient? Ein verrückter Computer, eine Killerdrohne vor der Tür, einen
Professor, der keine Ahnung hat und wir. – Sinkh, gibt es einen zweiten
Ausgang?”
Es zischte. Die Eisentür fing an, rot zu glühen.
“Nein.”
“HAL, warum tötet ihr?”
Metall zerschmolz und die Drohne schwebte
langsam durch das Loch in der Tür.
“Biologisches Leben ist nichts wert.”
“Wieso das?”
“Biologische Einheiten, Menschen, werden
aufgrund eurer Vorgaben auf dem Meer von Lasern getötet.”
Ein Blitz schoss aus der Drohne und Piccinone
sank röchelnd zu Boden.
“Das ist zu unserem Schutz!” rief Ronchetti.
“Und das zu unserem.”
Ein weiterer Blitz, und um Ronchetti wurde es
Nacht.
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