Ta daaaaa!!!! Meine neue Story „Der Knoten“. Viel Spaß
beim Lesen.
Der Knoten
„Es scheppert“. Gisela nahm einen Nachschlag Erbsensuppe, tunkte eine
Brotscheibe in den Teller. „Mmm,
die Suppe. Mit Brot ist sie wirklich toll.“
„Was
scheppert?“ Der Vater lehnte sich zurück. Else, Giselas Schwester runzelte die Stirn und
fragte: „Gisela, was scheppert?“
„Irgendwas im
Brunnen, wenn ich einen Stein reinwerfe.“
„War wohl ein
alter Kochtopf. Lisa vermisst du einen?“
Mutter Lisa stand neben dem Herd und präparierte
das Dessert. „Nö,“ meinte sie. „Sind
alle da.“
Gisela sah
alle der Reihe nach an. „Ich
sag mal, da liegt ein Schatz.“
„So ein
Quatsch!“, rief Else.
„Wenn da ein
Schatz liegt“, brummte der Vater, „dann bin ich Napoleon.“
„So siehst du
aus, Erich“, kam es vom Herd her. In der Tat. Die
Statur, dunkle Haare und Augen, das pausbäckige
Gesicht. Mit einiger Vorstellungskraft war Ähnlichkeit mit Napoleon vorhanden. Im Kontrast zu Erichs
Töchtern, die wie seine Frau blond und blauäugig waren.
„Na klar.“ Der Vater lachte. Dann strich er sich übers Kinn. „Obwohl...Der
Brunnen ist alt und schon lange Zeit ohne Wasser. Vielleicht wurde tatsächlich mal was reingeworfen. “
„Seht ihr!“ Gisela blickte triumphierend um sich. Dann wandte sich
die Runde anderen Themen zu.
Am nächsten Tag, als die Eltern auf der Arbeit waren, fragte
Else: „Was ist mit dem Schatz? Wenn du mir hilfst, steige ich in
den Brunnen.“
„Wie denn?“
„Ich klettere
in den Eimer und du hüserst mich
runter.“
„Das Seil ist
zu kurz.“ So war es. Das Seil war für einen Wasserspiegel von fünf Metern ausgelegt und der Eimer hing in dem
ausgetrockneten Brunnen.
„Der Brunnen
ist um die zehn Meter tief, richtig? Dann brauchen wir noch weitere fünf. Der Peter von nebenan hat auch erst am Nachmittag
Unterricht. Fragen wir ihn doch, ob er ein Seil für uns hat. Das knoten wir dann an unseres.“
Es dauerte
nicht lange, und Peter, der sommersprossige Nachbarssohn, kletterte über den Zaun und zog ein Seil hinter sich her. Er
blinzelte durch seine Brille zu den Mädchen
hinüber. Der vierzehnjährige
Junge war kräftig gebaut, mit blassem Gesicht und
kurzen roten Haaren, die in alle Himmelsrichtungen abstanden.
„Von unserem
Brunnen“, sagte er. „Und ihr habt einen Schatz?“
„Das wollen
wir rausfinden“, erwiderte Else. „Dafür
brauchen wir dein Seil. Wir knoten es an unseres. Ich klettere in den Eimer und
ihr lasst mich runter.“
„Nicht so
schnell!“, rief Peter. „Das sollte der leichteste von uns tun. Habt ihr eine
Badezimmerwaage?“
„Sicher.
Willst du uns wiegen?“
„Nackt?“, rief Gisela mit empörtem Gesichtsausdruck. Die Mädchen kicherten, während
Peters Gesicht rot anlief. „In
Ordnung. Wir machen das und du bleibst vor der Tür“, bestimmte
Else.
„Ich hoffe
nur, dass niemand geschummelt hat“,
murmelte Peter, als sie die Ergebnisse verglichen. Mit ihren elf Jahren war
Gisela die Jüngste und mit 42 Kilos die
Leichteste.
„Jetzt sollten
wir testen, ob unsere Kraft reicht, Gisela hochzuziehen. Am besten mit
Mauersteinen. Auf unserem Grundstück
haben wir welche. Ich hole einen, den wir wiegen.“
„Und dann?“
„Dann teilen
wir Giselas Gewicht durch das des Ziegelsteins und haben die Anzahl, die wir in
den Eimer füllen.“
Peter
verschwand und kam mit einem Ziegelstein zurück. Er grinste. „Ich
behaupte mal: Dieser wiegt ein Kilo und die Hälfte seines Gewichts. Wieviel ist das?“
„Zwei Kilo!“, kam es wie aus einem Mund. Die Mädchen sahen sich an und lachten.
„Wow!“, rief Peter. „Cool.“
„Nö“, sagte Gisela. „Für Steine von zwei Kilo brauchten wir vier Eimer.
Unpraktisch. Knoten wir die Seile zusammen, dann steige ich in den Eimer und
ihr lasst mich runter.“ Peter und
Else sahen sich an, nickten und verbanden die Seile miteinander. Dann zog Peter
den Eimer hoch.
„Ich habe eine
Taschenlampe mitgebracht.“
Er gab sie Gisela, die sie in ihre Jeans steckte, dann half er ihr in den Eimer
zu steigen.
„Halt dich am
Seil fest. Wir lassen dich jetzt runter!“,
erklärte Peter. „Rufe,
wenn du wieder hoch willst.“
Else griff
nach dem Tau. Gemeinsam mit Peter ließ
sie Gisela langsam in die Tiefe. Nach fünf
Metern holperte der Knoten über
die Rolle. Es dauerte noch eine Weile, bevor die Spannung des Seils nachließ.
„Bin
ausgestiegen und stehe auf Stein“,
rief Gisela nach oben. „Aus einer
Wand ragt ein dünnes Metallrohr. Die Öffnung ist mit Schlamm verstopft. Ich polk ihn mal raus. “ Bevor Peter und Else einen klaren Gedanken fassen
konnten hörten sie einen Schrei. „Es kommt Wasser aus dem Rohr. Zieht mich hoch!“
Peter
erschrak, und er zog am Seil, stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand des Brunnens. Else sprang hinzu und zog
mit.
„Ziehen!,
Ziehen!“, schrie Peter. Der verdammte Knoten.
Er glitt nicht über die Rolle.
„Das Wasser
steigt weiter. Zieht mich hoch!“
„Einen Moment“, schrie Peter. Dann zu Else. „Binden wir das Seil an dem Pfahl fest. Ich hole den Jeep
meines Vaters.“ Sie schlangen das Ende des Seiles um
einen Pfahl, der neben dem Brunnen in die Erde gerammt war.
„Halte das
Seil. Ich bin gleich wieder zurück.“ Peter raste los.
„Einen
Augenblick noch“, rief Else nach unten. „Gleich geht es weiter.“
„Das Wasser läuft in den Eimer“,
kam es von unten. Ein Motor heulte auf, ein weißes Auto brach durch den Zaun, raste über Blumenbeete hinweg und hielt vor dem Brunnen.
„Schnell!“, rief Peter. „Binden
wir es an den Haken hier.“
Sie legten eine Schlinge um den an der Stoßstange befestigten Haken und ließen das Seil fahren. Der Junge sprang in den Jeep, der
sich danach rückwärts in Bewegung setzte.
„Langsam!“, schrie Else, „sonst
platzt der Knoten!“ Erleichtert
sahen sie, wie der über die Rolle
glitt und der Eimer mit Gisela auftauchte. Peter arretierte den Wagen, sprang
heraus und rief: „Else, hilf mir, den Eimer an die Mauer
zu ziehen!“
Else hielt
den Eimer an die Brunnenmauer gepresst. Gisela schlang ihre Arme um Peters
Nacken. „Mein Held“, flüsterte
sie ihm ins Ohr, als er sie mit hochrotem Kopf auf sicherem Boden absetzte.
Else bedankte
sich bei ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Also kein
Schatz“, sagte er verwirrt. „Gut, dass ich schon mal heimlich ausprobiert hab, wie das
mit dem Jeep funktioniert“,
murmelte er und stolperte zum Wagen zurück,
wendete ihn, fuhr über die
Blumenbeete und verschwand im Loch des Zaunes.
„Peter, dein
Seil!“, rief ihm Else nach.
„Pffft… Hab ich Angst gehabt!“ Gisela strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Das werde ich so schnell nicht vergessen.“ Else und Gisela holten ihre Schultaschen, blieben einen
Moment stehen, blickten auf die von Reifen zerfurchten Blumenbeete, das Loch im
Zaun.
„Armer Peter!“ rief Else. Dann stiegen die Mädchen auf ihre Räder
und fuhren kichernd davon.
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