Warten wir ab, ob
es sich mit Eurer Attention Span verträgt; denn diese Story ist
länger. Ich durchsuche den Inhalt derer, die ich Anfang der 2000 er
geschrieben habe auf Roboter, Androiden; denn es nähert sich der
Zeitpunkt, zu dem sie aus der Science Fiction kommend in die
Wirklichkeit morphen.
Wenn eine Idee hochkommt,
die ich in einer Minutennovelle verbraten kann, werde ich es tun.
Ansonsten gibt es für einige Sonntage Roboterstories.
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Einer
jener lauen Sommerabende, an dem Davis die Polizeiarbeit hinter sich
ließ und mit Marylin in die Stadt fuhr. Während Menschen sich
griesgrämig gegenüber saßen, erhellte Marylin mit ihrer Präsenz
das Abteil. Später schlenderten sie über die Dunbar Avenue.
Passantentrauben bewegten sich von Bar zu Bar. Licht von
Straßenlaternen fiel auf einen Androiden, der vor einem kleinen
Tisch mit einem Hütchenspiel am Bordstein saß.
„Ron,
machst du nicht mit?“
Davis
antwortete nicht. Die Ironie konnte sie sich schenken. Wer konnte als
Mensch mithalten? Davis erinnerte sich an die unselige Schachpartie,
in der Marylin ihn zerrupft hatte. Sie zog ihn zu einem Schaufenster.
„Sie
her. Eheringe.“ Der hundertste Wink mit dem Zaunpfahl. U-Bahnen
rumpelten unter ihnen. Luft aus dem Schacht blies ihren Rock hoch.
Marylin lachte, drehte sich. Davis konnte nicht anders. Er hastete
mit ihr in eine Seitenstrasse, zog sie in den nächsten Hauseingang.
Er stolperte, fiel auf etwas Weiches. Eine Tür öffnete sich. Zwei
Frauen stiegen über ihn hinweg. Netzstrümpfe, lederne Miniröcke.
Etwas klebte an seinen Händen.
„Blut“.
Marylin sah an ihm vorbei. „Ron, unter dir liegt jemand.“
Ein
Mann. Davis tastete nach seiner Halsschlagader. Tot. Davis lief
hinter den beiden Frauen her und sprach in seinen Kommunikator. Es
dauerte eine Weile, bis er ihnen die Fingerabdrücke abgenommen
hatte. Er ging zurück und sah nach oben. Ein Hotel. Marylin folgte
seinem Blick und drückte sich an ihn.
„Wolltest
du mit mir da rein?“
Ein
Fluggleiter setzte auf. Polizisten sprangen heraus, sperrten den
Bürgersteig,, während Androiden von der Spurensicherung den
Hoteleingang auf Abdrücke untersuchten.
„Ihm
wurde das Genick gebrochen. Sein Arm säuberlich abgetrennt.“
„Womit?“
„Sieht
nach Laser aus. Der Mann ist seit einer Stunde tot.“
Der
Android legte sein Gesicht in freundliche Falten.
„Der
Arm ist weg.“
„Davis.
Sollten sie der Frau nicht den Anblick ersparen ?“
„Es
berührt sie nicht weiter.“ Marylin drehte dem Arzt den Rücken zu
und schob mit ihrer Hand die Haare über ihrem Nacken beiseite.
Dioden ihrer Seriennummer leuchteten in zartem Rot.
„Ich
verstehe.“ Der Arzt lächelte. „Marylin, nicht wahr?“
Davis
schickte sie nach Haus, als seine Leute von der Mordkommission
eintrafen. Er ging mit den Kollegen in das Hotel, ließ sich das
Register zeigen und befragte die Gäste.
Als
Davis am nächsten Morgen im Büro das Register noch einmal
studierte, kam nichts Neues zum Vorschein.
„Miller.
Fehlanzeige. Lassen Sie das Register zurückbringen. Frauen. Ich
glaube nicht, dass die dem Mann das Genick gebrochen haben.“
„Androiden?“
„Nein,
die Frauen im Hotel waren durch Fingerabdrücke identifizierbar.“
Davis legte die Beine auf den Tisch.
„Was
bleibt übrig? Weibliche, männliche Androiden oder Männer.“
„Fingerabdrücke?“
„ Keine.“
„Eine
Busfahrt!“ hauchte Marylin. „Du bist so romantisch.“
Wieder
breitete sich ein Abend über Dunbar aus. Sie stiegen ein und
zwängten sich an zwei Männern vorbei, die auf der letzten Bank
saßen. Einer von ihnen hielt einen Cello-Koffer gegen seinen Bauch
geklemmt. Davis stand mit Marylin im Gang. Mit jedem Schaukeln des
Busses ließ sie sich gegen ihn fallen.
Ausgemergelte
Typen fuhren zur Nachtschicht, und Davis fragte sich, was an der
Busfahrt romantisch sein sollte. Er sah durch das Fenster.
Industriebrachen. Dampf aus Schornsteinen. Ein graues Monstrum kroch
aus der Dunkelheit. Die Kühlschrankfabrik. Der Bus hielt. Der Mann
mit dem Cello-Koffer verschwand hinter dem Fabriktor.
Nächste
Haltestelle. Bustüren öffneten sich, eine Frau schrie. Mit weit
aufgerissenen Augen starrte sie auf einen Mann, der auf der hinteren
Sitzbank lag. Er war tot. Ihm fehlte ein Bein.
Der
Bus blieb stehen. Der Fahrer rief die Zentrale. Polizeigleiter
schwebten heran.
„Wie
machen Sie das, Boss, dass Sie immer gerade da sind, wo die Leichen
liegen?“, staunte Miller, während sie beobachteten, wie die
Androiden der Spurensicherung mit ihren Scannern über Fenster, Sitze
und Haltestangen fuhren. Davis schickte Marylin heim und fuhr mit
Miller und einem Kriminaltechniker zur Fabrik zurück.
„Ein
Mann mit einem Cello-Koffer?“ Der Befragte war jung und kniff die
Augen zusammen, als dächte er nach. Schwarze Haare fielen ihm ins
Gesicht. Er hieß Al und war Schichtführer.
„Das
kann nur Arnie sein.“ Wir üben zur Zeit „Sfogava alle Stelle“
von Giulio Caccini. Nach der Schicht, versteht sich. Ich spiele
Querflöte. Liegt gegen ihn was vor?“
„Nein.
Wir möchten uns seinen Cello-Koffer ansehen.“
Bleche
rollten auf einer Bandstraße heran, glitten an einem Mann vorbei,
der ihnen seinen Rücken zugedreht hatte. Er trug eine Maske vor dem
Gesicht. In monotoner Regelmäßigkeit schoss die Spritzpistole
weißen Lack auf die Platten.
„Warum
arbeiten so viele Androiden?, werden Sie sich fragen.“ Al deutete
mit dem Kopf zu den Arbeitern hinüber. „Einfache Maschinen könnten
es genau so gut. Aber wir wollen helfen, Roboter von der Straße zu
bekommen. Arnie zum Beispiel. Wir hatten unter Professor Klüpper
Musik studiert. Dann stand er auf der Straße. Jetzt schneidet er
Bleche zu.“
„Sein
Cello-Koffer?“
„Steht
im Aufenthaltsraum.“
Davis
nickte dem Kriminaltechniker zu. Der kehrte nach ein paar Minuten
zurück.
„Kein
Blut. Keine Körperzellen.“
Sie
gingen in die Blechverarbeitung. Al zeigte auf einen vierschrötigen
Mann. Rötlich leuchtende Seriennummer auf
seinem Nacken. Blaue Strahlen schossen aus seiner Hand und fraßen
sich durch das Blech. Die wuchtige Präsenz des Mannes, der stets die
gleichen Bewegungen machte, beunruhigte Davis. Bevor das nächste
Blech vom Band bereitgestellt wurde, drehte sich der kahlgeschorene
Kopf über dem Stiernacken zu ihnen. Seine Augen glichen schwarzen
Löchern.
„Musik
studiert, sagten Sie? Cello spielen ist doch sicher nicht einfach,
oder?“ Der Mann fuhr mit seiner Arbeit fort.
„Arnie
sagte mir, es sei eines der schwierigsten Instrumente.“ Al lachte.
„Natürlich denkt das jeder von seinem Instrument.“
„Was
können Sie mir noch über Arnie erzählen?“
„Nicht
viel. Denken fällt ihm schwer, und er weiß es. Das Kybernetische
Institut hat ihm eine Reparatur angeboten, doch er lehnte ab. Arnie
meinte, dann würde er nicht mehr so gut auf seinem Cello spielen
können. Und er hat wohl recht. Sein Spiel ist genial. Er sagte mir
einmal, wenn er Mensch wäre, spielte er jetzt in einem Orchester und
brauchte keine Bleche zuschneiden. Ich tröstete ihn damit, dass ich
als Mensch ebenfalls keinen Job im Orchester bekommen habe.“
„Seine
Meinung dazu?“
„Dass
ihn das nicht wundere. Querflötisten gäbe es wie Sand am Meer.“
Am
Tag darauf gab es einen weiteren Toten. Ihm fehlte der Kopf. Davis
stand am Fenster. Unter ihm dehnte sich der Platz der menschlichen
Einsicht zu den grauen Türmen des Kybernetischen Instituts, die in
tiefhängende Wolken ragten. Böen drückten Regen gegen Fenster. Ein
Robotpolizist ging den Platz entlang. Gab es nicht die Geschichte von
einem Zinnsoldaten, der vom Wasser fortgespült wurde? Davis
Kinderfrau hatte um die tausend Fabeln und Märchen im Kopf gehabt.
„Keine
Fingerabdrücke, Ron.“ Miller sah von seiner Tastatur hoch. „Die
vom Kybernetischen Institut haben auch nicht weiter gedacht als ne
fette Sau springt.“
„Sau,
was ist das?“
„Weiß
nicht.“ Miller lehnte sich zurück. „Sie haben Androiden keine
Fingerabdrücke verpasst.“
„Mit
Absicht.“ Davis ging zum Schreibtisch zurück. „Der
Zentralcomputer hat es so gewollt. - Ich hatte ihn auf Arnie
angesprochen, und der Computer bildete Analogien mit autistischen
Genies des zwanzigsten Jahrhunderts, nannte einen Namen: Leslie
Lemke, der nie Klavierspielen lernte und mehr als tausend Stücke
spielte, nachdem er sie einmal gehört hatte.“ Davis zuckte hilflos
mit den Schultern. „Dieser Arnie macht mich nervös.“
Davis
Wohnung war leer. Er hatte Marylin versprochen mit ihr den Flohwalzer
zu spielen und den Dingen später ihren Lauf zu lassen. Sie würde
ihren Passionmodus auf „random“ stellen hatte sie angekündigt
und seine Hand hatte unwillkürlich nach den Handschellen am Gürtel
gegriffen. Marylin. Wo war sie? Ihm war, als fehle ihm ein Teil, und
er dachte an den Killer.
Der
Kommunikator fiepte.
„Ron,
tu es nicht!“ Marylin. Erstaunt stellte Davis fest, dass ihre
Stimme ängstlich klang.
„Davis,
Sie wissen wer ich bin, und Sie wissen, wo Sie mich finden können.
Wenn ihnen an Marylin etwas liegt, kommen Sie jetzt, unbewaffnet, und
kommen Sie allein.“ Davis hatte Arnie nie reden hören. Doch wusste
er, es war der Bleichschneider.
Als
Davis dem Nachtpförtner seinen Dienstausweis vorlegte war ihm, als
sei er ein Android, konditioniert und auf Marylin fixiert. Im
Aufenthaltsraum starrte ihn der Cello-Koffer an. Auf der anderen
Seite war eine Tür. Davis ging darauf zu und las „Versuchsstation
Dauertest.“ Er ging hinein.
Mannshohe
Kühlschranke summten an den Wänden. Arnie stand in der Mitte des
Raumes. Wuchtig, bedrohlich. Seine Augen schienen durch Davis
hindurch zu sehen. Marylin saß neben ihm. Ihre Arme an die
Rückenlehne, ihre Beine an die des Stuhles gebunden. Ein Pflaster
verschloss den Mund.
„Davis,
ich will Mensch werden. Nur so komme ich ins Orchester.“ Arnie hob
wie zur Bitte nach Entschuldigung die Hände empor. „Es tut mir
leid, dass einige zu Schaden gekommen sind. Ich brauchte
ihre Teile.“
Arnie
ging zu einem der Kühlschränke und riss die Tür auf. Ein Arm flog
auf den Boden. Ein Kopf lag im Fach. Ein Bein neben einem
Cello-Koffer.
„Ist
das der Koffer, mit dem du Arm und Bein weggetragen hast?“
„Den
Kopf nicht zu vergessen. Wieso klappt es mit dem Austausch nicht,
Davis? Hier sehen Sie.“
Arnie
schraubte einen Arm von seinem Rumpf, hob den menschlichen vom Boden
und drückte ihn auf die leere Stelle.
„Halten
Sie mal.“ Davis presste mit Arnie den Arm gegen das Metall.
„Lassen
Sie los.“ Der Arm fiel zu Boden. „Ist das nicht komisch? Mein Arm
hingegen rastet sofort ein.“
„Arme
und Beine? Was willst du damit? „Der Kopf reicht doch. Mit Nacken
natürlich“, sagte Davis. „Wenn er keine Registriernummer trägt,
sieht jeder, dass du ein Mensch bist. Das ist es doch, was du
willst.“ Arnie bewegte sich nicht, schien festgefroren, dann sagte
er: „So ist es“ und zog den Kopf an den Haaren aus dem
Kühlschrank. Ging auf Davis zu. Blieb bewegungslos vor ihm stehen.
„Arnie,
was ist?“
„Davis.
Ich habe nachgedacht und muss dich unschädlich machen. Warum nehme
ich nicht deinen Kopf und setze ihn mir auf? Dann bin ich du, und du
wirst dich ja nicht selbst ins Gefängnis bringen, oder?“
Davis
Gedanken rasten. „Mag sein, Arnie. Aber probier es mit dem Kopf,
den du in der Hand hälst Willst du nicht erst mal sehen, ob es
klappt?“ Arnie antwortete nicht, für eine Weile. Dann: „Machen
wir es zuerst mit diesems hier. Hilf mir, meinen Kopf abzuschrauben.
Dann nimmst du den menschlichen und presst den Hals fünf Minuten
lang auf meinen Rumpf. Sollte es nicht klappen, setzt du meinen Kopf
wieder auf.“
Davis
bemühte sich. Vergebens. Der Kopf löste sich nicht.
„Befreien
wir Marylin. Sie ist kräftiger als ich. Gemeinsam müssten wir es
schaffen.“
„Nun
gut“, meinte Arnie und band Marylin los.
Davis
meine ein tückisches Funkeln in ihren Augen zu sehen. Er musste sich
getäuscht haben. Denn als er Arnies Kopf in seinen Händen hielt und
dessen Rumpf zu boden fiel, warf sich Marylin an Davis Hals und
schluchzte. Auch das kam unerwartet.
Davis
hielt Arnies Kopf in Augenhöhe.
„Nun
sag mir noch eines, Arnie, bevor ich dich im Kybernetischen Institut
abliefere. Was hättest du mit meinem Kopf im Orchester machen
wollen, ich, der von Musik so wenig Ahnung hat wie eine Sau vom
Schachspiel?
„Sau,
was ist das?“, fragte Arnies Kopf.
Am
Abend darauf stand Davis mit Marylin wieder vor dem Juweliergeschäft.
„Marylin.
Sieh mal, Eheringe,“ und er schob sie in den Laden hinein.