Die
täglichen 35 Grad Celsius gehen mir langsam auf den Senkel.
Um sieben Uhr morgens macht es noch Spaß
mit dem Fahrrad durch die Gegend zu gurken, danach wird es zu heiß. Ich hätte
auch schon lange die letzte „Scientific
American“ besprechen sollen, doch fließen Gedanken träger
über die Synapsen. So lasse ich nun meine Juli-Story vom
Stapel, die einen neuen Fall von Kriminalkommissar Heinrich Schneider und
Inspektor Udo Schmitz behandelt. Einiges ist aus meinem Leben gegriffen, die Stellen,
in der meine Band vorkommt.
Tanz im Garten
In bleierner Morgenstille knarrten Kriminalinspektor Udos Schmitz‘
Schuhe auf dem Linoleum. Leuchtstofflampen flackerten. Eine Tür
öffnete sich. Schmitz betrat das Büro, das er mit
seinem Kollegen Heinrich Schneider teilte, setzte sich an den Schreibtisch und
starrte mit leerem Blick zu Schneider hinüber, der in einen Schokoriegel biss und
die Tastatur seines Computers bearbeitete.
„Moin, Udo.“ Schneider sah hoch. „Irgendwas
nicht in Ordnung?“
„Zu blöd“, meinte der. „Ich habe gestern
eine Verabredung verpennt.“
„Ah. Schach gespielt?“ Udo nickte.
„Wer war es denn?“
„Ein Freund aus dem Schachclub“, erzählte
Udo. „Der mit der Nimzowitsch-Verteidigung.“
„Die Frau, Udo, die Frau.“ Schneider schüttelte
den Kopf. Sie hörten schnelle Schritte, die Tür wurde
aufgerissen und Dr. Schmidt, ihr Vorgesetzter rief: „In zwei Minuten
bei mir im Besprechungsraum!“
„Else, die aus dem Hausratsgeschäft. Habe dir doch
von ihr erzählt.“ Udo und Heinrich Schneider gingen
gemeinsam die Treppe hoch. Die Tür zum Konferenzraum stand offen.
„Wir haben wieder etwas.“ Schmidt rieb sich
die Hände und setzte sich zu ihnen. „Am Alsterdampfer
Anlegesteg Mühlenkamp wurde eine Leiche angeschwemmt. Ein Mann, um die
50 Jahre alt. Er kam durch einen Schlag auf den Kopf ums Leben. So das Ergebnis
der ersten Untersuchung. Er heißt Erwin Haberkorn und wohnte an der
Alster. In einer halben Stunde haben Sie einen Bericht mit den Daten. Dann können
Sie loslegen. Das ist alles.“ Dr. Schmidt stand auf und verließ
den Raum.
Als Schneider und Udo vor Haberkorns Haustür standen,
prasselte Regen auf sie herab. Eine ältere Frau öffnete ihnen, ließ
sie eintreten, nachdem sie sich ausgewiesen hatten.
„Furchtbar, ganz furchtbar.“ Die Frau führte
sie ins Wohnzimmer. „Der arme Herr Haberkorn. Er muss wohl nach dem Gartenfest
ins Wasser gefallen sein. Wäre ich doch bloß hier geblieben.
Doch nachdem das Buffet aufgebaut worden ist, hat Herr Haberkorn mich gehen
lassen.“ Sie sah auf die beiden. „Ich bin Frau
Knirschbier, die Haushälterin und das,“ sie nickte zu einem Riesenschreibtisch
hinüber, hinter dem ein kleiner, hagerer, bebrillter Mann saß
und Papiere durchsah, „das ist Doktor Fröhlich. Herr Haberkorns Anwalt, den ich
gebeten hatte, hierher zu kommen. Ich wusste, Herr Haberkorn bewahrte den Schlüssel
für den Schreibtisch in der Bonbondose auf. Nun versucht
Herr Fröhlich Klarheit über den Nachlass zu erhalten, denn von
gesetzlichen Erben ist uns nichts bekannt.“
„Gartenfest? Wann war das?“, fragte
Schneider.
„Vorgestern.“
„Und wer war eingeladen?“ Schneider sah
sich um. Das Wohnzimmer rustikal.
Hirschgeweih über dem Kamin, davor ein Sofa, zwei Sessel mit Couchtisch
und an der Seite der Schreibtisch aus dunklem Holz, vor dem der Anwalt saß,
seinen Mund zu einem Lächeln verzog und mit einem Papier wedelte.
„Hier habe ich das Testament. Frau Knirschbier. Sieht so
aus, als habe Ihr Chef Sie als Erben eingesetzt.“
Die Haushälterin ließ sich aufs Sofa fallen. „Was,
mich? Da bin ich ja von den Socken. Wieviel ist es denn?“
„Nach erster Schätzung einige Millionen Euro.“
Fröhlich nahm seine Brille ab und blinzelte. „Nach
den Auszügen zu urteilen, von Banken auf Barbados, den Seychellen,
Malediven, wird es sich für Sie lohnen, dort mal Urlaub zu
machen.“
Frau Knirschbier schnellte hoch und tippelte zu dem Anwalt.
„Kann ich mal sehen?“ Er gab ihr das Testament. „Und
die Auszüge?“ Frau Knirschbier stopfte die Papiere
in ihre Handtasche. Ihr Gesicht war gerötet. „Die kommen zur
Sterbeurkunde.“
„Noch mal. Wer war eingeladen?“, insistierte
Schneider.
„Hier ist eine Liste.“ Fröhlich
schob sie dem Kommissar zu.
Schneider überflog das Papier. „Zwölf
Personen. Und unten steht der Name der Tanzkapelle?“
„Ja“, meinte Frau Knirschbier. „Crying
Wolf and the Allstars. Der Chef dieser Kapelle heißt Peter Luther.
Ich hatte ihn und seine Band für Herrn Haberkorn über einen Manager
angeheuert.“
Tanzkapelle. Wie sich am nächsten Nachmittag herausstellte, war es
eine Rock n´Roll Band.
„Die Leute waren erstaunt, als wir mit unserem Bulli
vorfuhren, Verstärker und Instrumente rausholten“, erzählte
Luther, den Schneider ins Büro bestellt hatte. „Herr
Haberkorn hatte mit Geigen und Akkordeon gerechnet und bat uns deshalb,
Schlagzeug und Verstärker im Wohnzimmer aufzubauen und durch das geschlossene
Fenster zu spielen. Auf der Terrasse und dem Rasen sei es immer noch laut
genug.“
Luther, ein stämmiger, untersetzter Mann um die fünfundzwanzig,
verzog sein Gesicht . „Unser Melodiegitarrist fand das nicht gut, weil er eine
Chuck Berry Show abziehen wollte. Mit Duckwalk und Gitarre hinter dem Rücken.
Das ging nun nicht.“ Luther grinste. „Dafür haben wir das
Buffet abgeräumt.“
„Wer hat euch bezahlt?“, fragte Udo.
„Herrn Haberkorn haben wir nicht mehr gesehen. Es waren
mehrere Männer. Sie haben noch was draufgelegt, weil sie den Rock,
den wir spielten, cool fanden.“
„Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen?“
„Dass die Partygäste nicht zum Buffet gekommen waren.
Das war doch für sie bestimmt. Die Leute haben Polonaise bis zur Alster
runter und zur Terrasse zurück getanzt und dann wieder zum Fluss.
Als wir anfingen, wurde es schon dunkel. Einige Lampen waren im Garten
aufgestellt, doch konnten wir nicht mehr viel erkennen. Wir konzentrierten uns auf Stücke,
in denen Eisenbahnen vorkamen wie Little Evas Locomotion, Aerosmith Train kept
a rolling, Guns N´Roses Night Train, Willie Nelsons City of New Orleans,
Josh Turners Long black Train, CCR Midnight Special…”
“Schon gut!”, unterbrach Schneider. „Wir
haben verstanden!“
Am darauffolgenden Tag, ließ die Kripo einen Taucher dort in die
Alster steigen, wo Haberkorns Grundstück
endete. Er kam aus dem Wasser und warf ihnen einen Ziegelstein vor die Füße.
Der Sicherungsexperte zog sich Gummihandschuhe über, nahm ihn in
die Hand.
„Gut möglich, dass Haberkorn damit erschlagen
worden ist“, meinte er. „Sehen Sie die Blutspuren? Wir werden
das verifizieren. Die Fingerabdrücke auf dem Stein sind vermutlich durch
das Wasser unbrauchbar geworden.“
Schneider verabschiedete sich und ging mit Udo zum Wagen zurück.
„Ich habe die Liste mit den Namen. Wir machen es wie im
Film.“
Am Nachmittag danach standen sie mit den Partygästen im
Konferenzraum. Acht Männer, drei Frauen mittleren Alters und ein alter Mann im
Rollstuhl, der, um die achtzig Jahre alt oder älter, sein Gesicht
nicht mehr unter Kontrolle bekam. Schneider und Udo sahen sich an.
„Und Sie haben mitgetanzt?“, wandte sich
Schneider an ihn.
„Ich hatte einen Stellvertreter geschickt.“
„Wie heißt der Mann?“, fragte Udo.
„Der Name ist mir entfallen“, antwortete der
Mann. „Ich weiß auch gar nicht mehr, wie er aussieht
und wo er wohnt.“
„Kann ihn jemand beschreiben?“ Schneider sah die
Partygäste der Reihe nach an.
„Nicht möglich“, antwortete
einer. „Er trug eine Phantom-Maske.“ Die Frauen
kicherten.
„Das ist ja lächerlich.“ Schneider lief
rot an. „Einer von Ihnen hat Herrn Haberkorn erschlagen. Gab es
einen Grund?“
„Er hat uns reingelegt, mit Hochglanzprospekten geködert,
Renditen auf Immobilien versprochen, die er gar nicht besaß und uns um unser
Geld gebracht“, rief der Mann aus dem Rollstuhl heraus. „Das
Geld wollte ich Lilo, meiner Katze, vermachen. Sie geht nun leer aus. Herr
Haberkorn hat uns alle zu dieser Party eingeladen, um uns nach der Tanzerei ein
bombensicheres Projekt vorzustellen, mit dem wir unsere Verluste in Gewinne
umwandeln könnten. Diese Frechheit war der Tropfen, der das Fass überlaufen
ließ.“
„Und dann war da dieser Mann mit der Phantom-Maske“,
rief eine Frau. „Unten am Fluss kam er plötzlich hinter den
Büschen mit einem Mauerstein hervor und erschlug Herrn
Haberkorn, stieß ihn ins Wasser, sprang in ein Boot und paddelte davon.“
„Und was haben Sie gemacht?“, fragte Udo.
„Wir haben noch ein paar Minuten weitergetanzt“,
entgegnete einer der Männer. „Dann die Band ausgezahlt und sind nach
Haus gefahren.“
„Wieso haben Sie die Polizei nicht informiert?“
„Der Mann war auf unserer Wellenlänge und hat nur
das getan, vor dem wir als gesetzestreue Bürger zurückgeschreckt
waren.“
Schneider sah Udo an und sagte dann: „Sie können gehen. Halten
Sie sich jedoch in der Stadt auf. Wir werden Sie einzeln vernehmen müssen.“
„Der Mann mit dem Paddelboot“, seufzte Udo, als
sie wieder allein waren. „Die Leute werden sich bald fragen, wo Haberkorn mit
ihrem Geld abgeblieben war.“
Schneider hatte schon den Hörer in der Hand.
„Herr Dr. Fröhlich. Haben Sie die Nummer von Frau
Knirschbier?....... Danke, habe ich notiert. Was? Sie ist nicht in Hamburg? Mit
unbekanntem Ziel verreist? Sie wolle sich jetzt erst mal einen schönen
Urlaub gönnen?“
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