Ich habe mal wieder eine meiner Stories bei Wattpad untergebracht. "Verratene Liebe" ist auch in der SF-Anthologie "Jupiters Garten Eden" von Kurzgeschichten-de enthalten. Waren das Zeiten, als ich schriftstellerisch aktiv war, lol.
Es war Abend, ich ging im Alsterpark
spazieren, später den Fährdamm entlang, und betrat mein Lokal. Ich schaltete
das Licht des Aquariums ein. Es war noch recht früh, und ich genoss die Stunde
mit meinen Guppies und Doktorfischen. Ich legte eine CD von John Coltrane ein,
wischte die Tische und sah träumend aus dem Fenster, während die Dämmerung
hereinbrach und die Straßenlaternen angingen.
Auf der anderen Seite der Straße lugte
ein altes Haus zwischen Kirschbäumen hervor. Hin und wieder flackerte Licht in
einem der Kellerräume. Passanten, die achtlos daran vorüber gingen, fiel es
nicht weiter auf, doch mir, der jeden Abend die Tische wischte, war es schon
mehrere Male aufgefallen. Was machte der Grünlicht da? Nun, wenn man vom Teufel
spricht! Ich sah, wie er die Haustür abschloss und auf meinen Pub zu ging. Was
wollte der schon so früh bei mir? Nachdem seine Frau gestorben war, hatte er
des Öfteren erzählt, dass er sie besuchen wolle. Es musste ihn wohl so
getroffen haben, dass er darüber sonderlich geworden war.
Als er eintrat sah ich, dass er ein
Bündel Briefe in der Hand hielt. Er setzte sich an die Theke und starrte vor
sich hin.
“Bier und n’ Korn.”
“Erich, schon so früh?”
“Geht dich nichts an.”
“Was passiert?”
“Geht dich nichts an.”
Ich schenkte ein und baute die Getränke vor
ihm auf, blieb eine Weile vor ihm stehen. Obwohl seine Frau bereits seit zwei
Jahren tot war, hatte er immer gepflegt ausgesehen. Doch heute... sein Anzug
wirkte zerknittert, die Krawatte hing windschief am Hemd, die grauen Haare
fielen ihm wirr ins unrasierte Gesicht. Ich fuhr fort, die Tische zu wischen.
“Meine Frau hat mich betrogen.”
“Was?”
“Ich sagte, meine Frau hat mich
hintergangen.” Grünlicht griff nach einem der Briefe und wedelte damit in der
Luft herum.
“Sieh her, was ich gefunden habe.”
Ich stellte mich neben ihn.
“Hier, lies.”
‘Mein geliebter Joachim. In ein paar Tagen
bin ich tot. Dann werde ich für immer mit dir vereint sein.’
“Joachim, wer ist das?”
“Ihr Verlobter.” Grünlicht stürzte den Korn hinunter. “Noch
einen.”
Ich ging hinter die Theke. “Ihr Verlobter?”
“Ja, Else war verlobt gewesen, bevor wir
geheiratet haben. War auf der Straße überfahren worden, ihr Joachim.” Es sollte
zynisch klingen, doch dann füllten sich Grünlichts Augen mit Tränen. “Ich habe
die Briefe erst jetzt gefunden. Dreißig Jahre waren wir verheiratet, und jedes
Jahr hat sie einen der Briefe geschrieben. An ihren toten Joachim. Nie hat sie
ihn vergessen. Sie hat ihn immer geliebt.” Er vergrub das Gesicht in seinen
Händen.
Ich blieb stumm. Was sollte ich auch sagen?
“Und was ist mit mir?”, schrie er. “Mit mir,
der seine Frau die ganze Zeit angebetet hat? Ich bringe sie um! Ich bringe sie
beide um.”
Jetzt ist es soweit, dachte ich. Reif für den
Psychiater.
Grünlicht stürzte den zweiten Korn hinunter
und spülte mit Bier nach.
“Du glaubst mir wohl nicht, was?” Seine Augen
zogen sich zusammen.
“Heinz. Woran habe ich die letzten beiden
Jahre gearbeitet?”
“Weiß nicht. Ich denk, du hast Vorlesungen
gehalten.”
“Ich meine abends. Nach Feierabend.”
“Keine Ahnung. Papierflieger gebaut?”
Grünlicht bestellte einen weiteren Korn. Dann
beugte er sich vor.
“Eine Maschine. Eine Zeitmaschine.”
“Was? Du spinnst.”
“Morgen bin ich weg. Und dann bringe ich sie
um.”
Er rutschte vom Hocker, legte einen Schein
auf den Tresen und verschwand in der Dunkelheit.
“Erich, Deine Briefe!” Rief ich ihm nach. Ich
hielt sie unschlüssig in der Hand. Ich wollte sie nicht lesen. Es war zu… es
war einfach nicht richtig. Der arme Mann. Ich steckte die Briefe zwischen die
Gläser vor dem Spiegel.
Als ich am nächsten Abend von meinem
Alsterspaziergang kam und das Lokal aufmachte, sah ich, wie Grünlicht in sein
Haus ging. Und während ich die Tische wischte, blitzte und flackerte es wieder
in seinem Keller. Doch diesmal war es anders. Als die Straßenlaternen angingen,
flackerten auch sie, auch das Licht in meinem Aquarium, und die Pumpe setzte
aus. Meine Guppies und Doktorfische waren so verwirrt wie ich, bis das Flackern
nach einer Weile aufhörte. Dann kamen
die ersten Gäste.
Den Abend darauf wurde ich von einer
seltsamen Unruhe erfasst. Ich schaute immer wieder zu dem Haus hinüber. Es
schien ohne Leben. Die Räume blieben dunkel, von Grünlicht keine Spur. So blieb
es eine Woche, und ich fing an, den Mann zu vermissen. Dann, eines Abends,
traten eine Frau und ein Mann aus dem Haus hervor und gingen Richtung
Alsterpark. Ich konnte das Paar nicht erkennen. Es musste schon älter sein, und
die Frau kam mir bekannt vor. Ich blickte auf die Uhr. Dann sah ich auf die
Gläser vor dem Spiegel. Die Briefe waren verschwunden.
Am nächsten Abend kamen die Frau und der Mann
wieder aus Grünlichts Haus und gingen zum Alsterpark hinunter. Ich sah auf die
Uhr. Die gleiche Zeit. Wer war die Frau? Wo war Grünlicht? Ich nahm mir vor,
den folgenden Abend länger spazieren zu
gehen.
“Frau Grünlicht, das kann doch nicht
wahr sein!”, rief ich aus.
“Sie müssen mich mit jemandem verwechseln,”
meinte die Frau. “Ich heiße Schmidt. Komm, Joachim, wir gehen”, wandte sie sich
an ihren Begleiter. Das Paar setzte seinen Weg fort. Ich hätte schwören können,
es sei Grünlichts Frau. Aber die war schon seit zwei Jahren tot.
“Entschuldigen Sie, kennen Sie einen Mann
namens Grünlicht?”
“Ja”, antwortete der Mann, drehte sich um und
blieb stehen. “War ein Kommilitone von mir und hat mir das Leben gerettet. Vor
fünfunddreißig Jahren. Ich wäre damals beinahe überfahren worden. Grünlicht war
auf die Straße gerannt, um mich aus der Bahn des Fahrzeugs zu stoßen. Dabei ist
er selbst zu Tode gekommen. Wieso fragen Sie?”
“Ach, nur so. Entschuldigen Sie noch mal.”
Ich hastete zum Lokal, als sei der Teufel hinter mir her.
Als ich die Tische wischte, schaute ich immer
wieder zu dem Haus hinüber und dachte an Grünlicht und seine Zeitmaschine. Er musste diese Frau wirklich sehr geliebt haben.