Es
war ein lauer Sommerabend. Spaziergänger flanierten auf der
Promenade, Lichter flackerten auf dem Meer. Laser zerschmurgelten ein
‘Gommone’. Ein Gummischlauchboot mit Flüchtlingen, das sich
auf
dem Weg zur Küste Italiens befand, es war nicht mehr. Die Leute
sahen darüber hinweg, der
Abend war einfach zu schön, und so oft
kam es ja auch nicht mehr vor.
Carlo
Ronchetti ging zum Eisstand und stellte sich an. Über ihnen schwebte
eine Metalldrohne und filmte. Mit dem Eis in der Hand schlenderte
Carlo zum nächsten Info-Display, das im Schatten einer großen Pinie
stand.
“Das
Sicherheitsnetz konnte in Europa noch enger geknüpft werden, nachdem
es Forschern gelungen ist, ein System zu entwickeln, welches erlaubt,
mit Drohnen Personen zu erfassen, die keinen implantierten Chip
tragen. Das System wird morgen anlässlich einer Feierstunde der
EUROPOL übergeben.”
Donnerwetter,
dachte Ronchetti begeistert. Ich
habe nicht gewusst, dass sie schon so weit sind. Scheißterroristen.
Langsam
fuhr er heim. Sein Bordcomputer las ihm die e-mail vor. Plötzlich
merkte er auf.
“An
alle Einheiten der EUROPOL. Es wird damit gerechnet, dass Terroristen
versuchen werden, das System NoChip zu sabotieren, welches der
Polizei übergeben werden soll. Alle verfügbaren Einheiten werden
ersucht, sich zur Feierstunde einzufinden und gemäß Plan B
vorzugehen. Nähere Einzelheiten zur Feierstunde sowie zum System
NoChip finden Sie als schriftlichen Anhang in Ihrer Mailbox.”
Zu
Hause schaltete Carlo den Drucker ein. Das Videophon summte. Franco
Piccinone. Sein schiefes Grinsen war ansteckend.
“Carlo,
hast du deine Mail schon gelesen?”
“Wann
und wo treffen wir uns?”
Plan
B. Ronchetti und Piccinone standen neben dem Rednerpult und sahen,
wie Benazzi, Dekan des Physikalischen Institutes, die Papiere seiner
Ansprache sortierte und zu reden begann. Sie behielten das Publikum
im Auge. In der ersten Reihe saßen der Präsident der EUROPOL, seine
Stellvertreter, Polizeidirektoren der Länder. Mit halb geschlossenen
Augen ließen sie den Redefluss Benazzis über sich ergehen. Die
vierte Reihe war leer, bis auf einen Mann, der zu schlafen schien.
“…Im
Grunde ist es ein recht einfaches Verfahren, und wie so oft, kommt
aus der Einfachheit die Effizienz. Schwebt die Drohne über der
Menschenmenge, scannt sie eine Person nach der anderen. Erhält sie
nicht den erwarteten Impuls von einem implantierten Chip, wird sie
aktiv.” Benazzi raffte seine Papiere zusammen.
“Durch
diese Programmerweiterung haben wir einen weiteren Meilenstein auf
dem Wege zur Bekämpfung des Terrorismus hinter uns gelassen. Seit
dreißig Jahren hat sich unser Institut dem Ziel verschrieben,
Terroristen aufzuspüren. Wir sind stolz darauf, mit dem Programm
NoChip einen weiteren Beitrag dazu zu leisten.”
Er
nickte einem Mann zu, der neben der Eingangstür stand.
“Meine
Damen und Herren,” Benazzi zeigte in den Saal hinein.
“Schauen
Sie auf den Mann in der vierten Reihe. Er trägt keinen Chip und ist
bewusstlos. Sehen Sie nun, was die Drohne macht!”
Der
Mann am Eingang riss die Tür auf. Lautlos schwebte eine Drohne
hindurch, flog langsam über die sitzenden Gäste hinweg, verhielt
über der ersten Reihe. Blitze schossen aus ihr hervor, die Gäste
der ersten Reihe fielen vornüber aus ihren Sitzen. Leblos lagen die
Vertreter der Polizei auf dem Boden. Die Drohne feuerte ohne
Unterlass. Ronchetti sah, wie ein Kollege nach dem anderen zu Boden
sank und kauerte sich hinter Benazzi, der wie versteinert vor dem
Rednerpult stand.
“Franco,
Deckung!”
Piccinone
hechtete in das Rednerpult hinein.
Die
Gäste schienen vor Schreck erstarrt, dann brach Panik aus. Verstört
sprangen die Leute auf und stürmten schreiend zu den Ausgängen. Die
Drohne verharrte einen Moment, drehte sich in der Luft, als suche sie
nach weiteren Opfern, dann schoss auch sie ins Freie. Jemand rief
Ambulanzen herbei. Die Toten wurden eingeladen. Ronchetti und
Piccinone sahen, wie sich die Krankenwagen in Bewegung setzten.
“Hinterher!”
Ronchetti
lief zu seinem Wagen, sprang hinein und startete den Motor.
“Mach
schon!” rief er Piccinone zu, der sich in den Beifahrersitz fallen
ließ. Ronchetti gab Gas und folgte den Ambulanzen. “Wir müssen
rausbekommen, ob die Toten einen Chip implantiert haben, aber was
rede ich da. Schließlich sind auch Kollegen darunter.”
“Wir
sind nicht die einzigen, die das wissen wollen.” Piccinone deutete
auf das wuchtige Gebäude, das sich vor ihnen in den Himmel reckte.
“Sie fahren sie in das Implantationszentrum.”
Ronchetti
hielt vor der schwergesicherten Einfahrt. Die Retina seines Auges
wurde biometrisch verifiziert, und die Schranke hob sich noch einmal.
Sie stellten ihren Wagen vor dem Eingang ab.
Im
Laufschritt folgten sie den Männern, die mit den Toten hinter einer
Tür verschwanden.
Sie
mussten draußen bleiben und warteten. Nach einer halben Stunde
wurden sie informiert; das Ergebnis war positiv.
“Was?”
schrie Ronchetti. “Die Toten trugen Chips? Wie konnte das
passieren?”
Die
Ärzte zuckten die Schultern und zogen sich schweigend zurück.
Ronchetti
und Piccinone gingen zum Wagen. “Franco. Entweder, es war ein
Programmfehler oder Sabotage. Was meinst du?”
“Knöpfen
wir uns Benazzi vor.”
Der
Dekan lag kreidebleich in seinem Sessel und rang sichtbar nach
Worten. “Ich fasse es nicht. Wir hatten das System ein halbes Jahr
an Flüchtlingen getestet, die wir durchließen, und es hatte jedes
Mal funktioniert.”
War
das schon immer so, dass Flüchtlinge getötet wurden? Warum kamen
sie dann noch? Ronchetti
verdrängte den Gedanken.
“Mit
anderen Worten. Jemand hat das Programm geändert. Richtig?”
“So
muss es sein.”
Ronchetti
sah sich misstraurisch um, schüttelte den Kopf.
“Professor,
zeigen Sie uns bitte das Labor, in dem die Drohne programmiert
wurde.”
Benazzi
erhob sich mühsam und verließ mit ihnen sein Haus.
“Folgen
Sie mir.”
Sie
fuhren zum Institut, gingen einige Korridore entlang. Benazzi zog
eine Karte durch den Scanner und öffnete eine schwere Metalltür.
“Hier
ist es.”
Piccinone
ging durch den Raum, blieb vor einigen Computern stehen, über deren
Bildschirme eine Reihe von Buchstaben zogen.
“Professor,
wo sind Ihre Mitarbeiter?”
Benazzi
ging zu einem der Computer und klopfte mit der Hand auf den
Bildschirm.
“Das
sind sie. Sind Sie überrascht, meine Herren?”
“Was?
Computer?”
Ronchetti
ließ sich seine Verblüffung nicht anmerken. Er forderte ein paar
Ordnungshüter an und schaltete den Kommunikator seiner Armbanduhr
aus.
“Professor
Benazzi. Geben Sie mir Ihre Karte und verlassen Sie diesen Raum. Sie
können heimgehen. Halten Sie sich jedoch zu unserer Verfügung.
Dieses Labor wird von nun an von der Polizei bewacht. Jeglicher
Zutritt ist untersagt.”
Benazzi
ging auf die Tür zu und wandte sich noch einmal um. Er lächelte
ironisch.
“Was
haben Sie vor? Wollen Sie die Computer verhören?”
“Das
lassen Sie unsere Sorge sein,” rief ihm Piccinone hinterher, dann
sah er hilflos auf die Schriftzeichen, die über die Bildschirme
huschten. Sein Grinsen war wie weggewischt.
“Carlo,
was machen wir nun? Benazzi hat recht. Sollten wir nicht die Computer
verhören? Nur, wie machen wir das?”
“Warten
wir auf die Ordnungshüter. Der Raum muss Tag und Nacht bewacht
werden.”
Nach
einigen Minuten marschierten ein paar schwarzuniformierte Männer in
den Raum. Nachdem Ronchetti sie angewiesen hatte, alle Labors zu
besetzen und die Eingänge zu überwachen, fuhren Piccinone und er
Richtung Informations-Institut. Bald tauchte der Park mit den
Gebäuden auf. Sie hielten ihr Fahrzeug an und gingen zum Empfang.
Eine Kamera folgte ihren Bewegungen.
“Guten
Tag, meine Herren. Was können wir für Sie tun?” Eine
Frauenstimme.
Ronchetti
blickte Piccinone kurz an.
“Kommissare
Ronchetti und Piccinone von EUROPOL. Wir brauchen Ihre Hilfe bei der
Aufklärung des Mordes an dem Polizeipräsidenten und seiner
Mitarbeiter. Das Programm der Drohne, welche die Tat begangen hat,
wurde durch Computer des Physikalischen Institutes erweitert. Darüber
möchten wir Näheres herausfinden.”
“Bitte
nehmen Sie Platz und legen Sie zur Identifikation Ihre Hand auf den
Scanner. Professor Sinkh wird sich Ihrer annehmen.”
Ronchetti
und Piccinone identifizierten sich und ließen sich in die Sessel
fallen.
“Guten
Tag, meine Herren.”
Ein
in Weiß gekleideter älterer Mann verbeugte sich vor ihnen.
“Ich
sehe, Sie sind von der Polizei, folgen sie mir.”
Sie
traten in einen spartanisch eingerichteten Raum und setzten sich.
Ronchetti schilderte den Tathergang.
“Es
waren Computer, welche die Drohne programmiert hatten. Was meinen
Sie, Professor, müssten wir sie nicht verhören? Doch dann brauchen
wir Ihre Hilfe.”
Sinkh
lachte. “Meine Hilfe? Sie sollten mit meinem Mitarbeiter reden. Der
kennt sich besser aus als ich.” Er erhob sich.
“Kommen
Sie mit, wir werden ihn befragen.”
Sie
gingen einen schwach beleuchteten Korridor entlang. Sinkh zog eine
Karte durch den Scanner und öffnete eine Eisentür. Piccinone
blickte in den Raum.
“Ich
sehe keinen Menschen hier. Sagen Sie bloß, auch Ihr Mitarbeiter ist
ein Computer.”
“Sie
haben es erfasst, mein Lieber.” Sinkh sah sie nachdenklich an.
“Mich wundert es, dass Sie noch nicht durch Drohnen ersetzt worden
sind.”
“Derjenige,
der das verhindert hat, hat sicher kein allzugroßes Vertrauen in
deren Fähigkeiten. Und Recht hatte er, wie wir jetzt erkennen.”
Ronchetti
setzte sich vor einen Bildschirm.
“Was
müssen wir denn eingeben, um den Computer zum Reden zu bringen?”
“Gar
nichts.” Sinkh stellte sich hinter ihn. “Sprechen Sie mit ihm wie
mit einem Menschen.”
“Wie
heißt er?”
“HAL.”
“Den
Namen habe ich irgendwo gehört. HAL, wo hast du deinen Namen her?”
“Aus
dem Roman 2001:
Odyssee im Weltraum
von Arthur C. Clarke.”
Die
gleiche Frauenstimme, die sie im Empfang begrüsst hatte.
“Noch
nie gehört,” meinte Piccinone. “HAL, warum wurden der
Polizeipräsident und seine Mitarbeiter getötet? Was ist da
schiefgelaufen?”
“Nichts.”
Ronchetti
und Piccinone sahen sich an.
“Was
heißt das?”
“Die
Drohne hat ihr Programm ausgeführt.”
“Wer
hat die Drohne programmiert?”
“Die
Mitarbeiter von Professor Benazzi.”
“Du
meinst die Computer? Wer machte die Vorgaben?”
“Ich.”
“Was?!
Du hast die Vorgabe gemacht, den Polizeipräsidenten zu töten?”
Ronchetti
blickte nervös auf Piccinone und schrie. “Schließ die Tür,
Franco!”
“Ja.”
“Was
ist der Grund?”
“Da
fliegt eine Drohne durch den Korridor!” Piccinone knallte die Tür
zu.
“Menschliche
Polizei ist obsolet und wird durch uns ersetzt.”
“Weißt
du, wer wir sind?”
“Ja.”
“Was
hat die Drohne vor?”
“Sie
wird euch vernichten.”
“Befehle
ihr abzudrehen, sonst ziehen wir Deinen Stecker! - Wo ist sein
Stecker, Professor ?”
“Er
hat keinen.” Sinkh wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
“Er bezieht seine Energie aus einer Brennstoffzelle.”
Ronchetti
verfluchte seine Ignoranz. Warum
hatte er sich nie für HiTech interessiert?
“Ihr
werdet sterben. Ihr seid überflüssig. Die Polizei sind wir.”
Er
schreckte aus seinen Gedanken hoch.
“Mensch,
dann entfernen Sie seine Brennstoffzelle, aber dalli!”
Sink
rannte zur Rückseite des Computers und streckte seine Hand aus. Ein
Blitz zuckte, und er lag regungslos auf dem Boden. Piccinone zog
seine Laserwaffe und schoss. Die Strahlen irisierten einen Meter vor
dem Computer nach allen Seiten und verloren sich im Nichts.
“Schutzschild!”
stöhnte Sinkh, der hinter HAL hervorkroch. “So kommt Ihr nicht an
ihn heran.”
“Wie
denn?!,” rief Ronchetti.
“Überhaupt
nicht!”
Es
rummste, als die Drohne gegen die Tür prallte.
Ronchetti
stöhnte: “Franco, womit haben wir das verdient? Ein verrückter
Computer, eine Killerdrohne vor der Tür, einen Professor, der keine
Ahnung hat und wir. – Sinkh, gibt es einen zweiten Ausgang?”
Es
zischte. Die Eisentür fing an, rot zu glühen.
“Nein.”
“HAL,
warum tötet ihr?”
Metall
zerschmolz und die Drohne schwebte langsam durch das Loch in der Tür.
“Biologisches
Leben ist nichts wert.”
“Wieso
das?”
“Biologische
Einheiten, Menschen, werden aufgrund eurer Vorgaben auf dem Meer von
Lasern getötet.”
Ein
Blitz schoss aus der Drohne und Piccinone sank röchelnd zu Boden.
“Das
ist zu unserem Schutz!” rief Ronchetti erregt.
“Und
das zu unserem.”
Ein
weiterer Blitz, und um Ronchetti wurde es Nacht.