Vergessener
Hochzeitstag
Hamburger
Schmuddelwetter am Abend. Regen prasselte auf die Fensterscheiben.
Schneider räkelte sich auf seinem Sitz, verschränkte die Hände
hinter dem Kopf und blinzelte über die Tischlampe hinweg zu Udo.
“Bei
so einem Wetter gibt es nur eines: Kopf runter und arbeiten.”
“Tu
ich ja, tu ich ja.” Udo Schmitz haute in die Tasten. “Ich
versuche mich an einer Story für Schreib-Lust.” Udos Blick löste
sich vom Bildschirm. “Wenn es nichts zu tun gibt, kommt es mir vor,
als würde die Zeit stehen bleiben, und ich sei der einzige auf der
Welt, der trotzdem was macht.“
Aus
dem Gebäude war kein Laut zu vernehmen.
„Fahren
die Autos noch?” Unwillkürlich spähte Schneider aus dem Fenster.
Er sah Scheinwerfer von Autos, die wie Käfer auf der Straße zu
kriechen schienen. Schneider und Udo saßen zwanzig Stockwerke höher
im Polizeipräsidium und kein Mord kam des Weges.
“Wenn nichts
passiert, komme ich auf dumme Gedanken”, brummte Udo. “Wieso
mordet denn niemand? Was denken sich die Leute eigentlich?”
“Wie auch immer”,
Udo lehnte sich zurück. “Du wirst sicher früher nach Haus gehen,
wo du doch Hochzeitstag hast.”
“Wa...?
Hochzeitstag? Verdammter Mist. Hab ich doch glatt vergessen.”
Schneiders Gesicht rötete sich. Er sprang vom Stuhl hoch und
schlüpfte in seinen Mantel.
“Ich sause mal zum
Blumenladen.”
Schneider stand wie
ein begossener Pudel im Regen, zückte sein Handy und rief Udo an.
“Heinrich hier. Ich komme nicht mehr zurück. Der Händler an der
Ecke hat schon zu. Werde mir die Blumen im Hauptbahnhof besorgen.”
Er setzte sich in sein Auto und fuhr los.
Er
raste durch die Bahnhofshalle. Eine Frau rempelte ihn an. “Das ist
doch...”, entfuhr es ihm. “Die Monika.” Die Frau trat zurück
und lächelte.
“Wow!”,
rief Schneider. “Du siehst ja aus wie damals! Ich hätte nicht
gedacht, dass du es bist!”
Die
Frau war jung, blond, gut gekleidet und wirkte nervös. “Ruf mich
mal an, ich gebe dir meine Karte.” Sie kramte in ihrer Handtasche.
Eine Pistole fiel heraus und knallte auf die Fliesen. Ein Schuss
löste sich, traf einen Mann mit Hut und Spazierstock, der auf den
Boden fiel.
“Oh”,
rief Monika. “Das wollte ich nicht. War doch für meinen Ex!”
Schneider rief Polizei und Ambulanz. Eine Menschentraube hatte sich
um den alten Mann gebildet. Bahnpolizei löste die Menge auf.
Sanitäter eilten mit einer Trage herbei und mit Mann und Trage
wieder davon. Schneider und Monika wurden zur nächsten Wache
gefahren. Dort wies sich Schneider aus und gab den Hergang zu
Protokoll. Dann verabschiedete er sich hastig von Monika.
“Ich
muss zurück zum Hauptbahnhof und Blumen für meinen Hochzeitstag
besorgen.” Er wandte sich zum Gehen.
„Heinrich!“,
rief Monika und streckte ihm eine Visitenkarte entgegen.
„Glück
gehabt!“, rief Schneider, als er am nächsten Morgen ins Büro kam.
„Noch Blumen bekommen. Ich habe Emma dann in Daniel Wischers
Fischbratküche eingeladen. Sie war ganz aus dem Häuschen.“
„So
eine Frau brauche ich auch“, meinte Udo. „Die bei Scholle mit
Kartoffelsalat in Ekstase gerät.“
Schneider
setzte sich an seinen Schreibtisch und holte die Utensilien aus der
Schublade.
„In der
Bahnhofshalle habe ich eine ehemalige Klassenkameradin getroffen.“
Er zog die Karte hervor. „Monika Schwarzmann. Sie sah genau so aus
wie vor 30 Jahren. Hatte sich überhaupt nicht verändert. Deshalb
habe ich sie nicht gleich erkannt.“
„Was?“
Udo rollte mit den Augen. „Sie sah genau so aus wie vor 30 Jahren
und du hast sie nicht erkannt?“
„Alterszuschlag,
Mann“, reagierte Schneider ungehalten. „Sie hätte doch anders
aussehen müssen.“ Schneider hielt inne. „Irgendwas war da noch.
Stimmt. Sie wollte ihren Ex erschießen.“
Schneider
richtete sich auf. „Udo, da müssen wir aufpassen.“ Er erzählte
Udo von der Pistole, aus der sich ein Schuss gelöst hatte und zog
das Telefon zu sich heran. Schneider ließ sich mit der Polizeiwache
am Hauptbahnhof verbinden. Nach einer Weile legte er auf.
„Die Waffe war
registriert“, meinte er. „Und der Mann war nur hingefallen, weil
die Kugel seinen Spazierstock getroffen hat. Monika wurde nach Hause
geschickt.“
Udo machte sich an
der Tastatur zu schaffen. „Hier ein Wikipedia-Eintrag. Monika
Schwarzmann, Chemikerin, geboren 5.10.1966. Verheiratet mit einem
Boris Schwarzmann“.
Udo
sah zu Schneider herüber. „Und hier ist ein Bild von ihr. Darauf
sieht sie eher aus wie fünfzig.“
Schneider
ging um die Schreibtische herum, sah auf Udos Bildschirm und kratzte
sich am Kopf.
„Unmöglich.
Die Frau in der Bahnhofshalle sah aus wie 20. Das muss dann die
Tochter sein.“
Schneider
ging an seinen Platz zurück, sah auf die Karte und langte nach dem
Telefon. „Udo, wir sollten sie mal besuchen.“
Monika
Schwarzmann trug Jeans und einen Pullover im Schlabberlook. Darin sah
sie noch jünger aus. Schneider und Udo saßen mit ihr in einem
gemütlich wirkenden Wohnzimmer und tranken Tee.
„Fehlt
nur noch Captain Picard. Der trank auch immer Earl Grey“, meinte
Udo. Schneider rollte mit den Augen. Er zog den Ausdruck des
Wikipedia-Eintrags aus seiner Tasche und schob ihn zu Frau
Schwarzmann hinüber.
„Monika. Auf dem
Foto siehst du älter aus. Wie hast du es hinbekommen, dich zu
verjüngen?“
„Mein
Geheimrezept.“ Monika sah die beiden Männer an. „Ich sage nur so
viel:
Hormone.“
Die Frau fuhr sich mit den Händen durch das Haar. „Heinrich, du
bist Polizist. Das wusste ich. Das Rezept ist in falsche Hände
geraten. Mein Ex hat sich eine Kopie verschafft und eine Firma
gegründet, die mit Badezusätzen handelt.“
„Und der Verdacht
liegt nahe, dass er seine Bade-Öle mit deiner Mixtur anreichern
will?“, fragte Schneider.
„Badedas, der
Jungendspaß“, ulkte Udo.
Monika nickte. „Ich
habe die Hormonzusammenstellung an Mäusen getestet, sie ihnen
injiziert. Und erst danach an mir ausprobiert. Badezusätze
ungetestet mit diesen Hormonen zu vertreiben ist verantwortungslos.
Deswegen war ich so wütend und mit der Pistole in der Handtasche
losgezogen.“
Udo erhob sich. „Die
Mäuse, wo sind die?“
„In meinem Labor
nebenan.“ Monika zeigte auf eine Tür. Udo öffnete sie, schaltete
das Licht an und rief: „Uh, oh“!
„Was ist?“,
fragte Schneider und sprang vom Sitz. Er ging zu Udo ins Labor. Sie
sahen einen Käfig aus Plexiglas mit verschrumpelten Mäusekadavern.
„Monika!“, rief
Schneider. „Irgendetwas stimmt wohl mit der Rezeptur noch nicht.“
Sie hörten ein Röcheln. Schneider und Udo liefen ins Wohnzimmer
zurück. Monika lag zusammengefallen in ihrem Sessel. Spasmen
durchliefen ihren Körper. Falten bildeten sich wie im Zeitraffer auf
Gesicht und Armen. Sie riss ihre Augen weit auf. Dann bewegte sie
sich nicht mehr.
Die
beiden Polizisten starrten düster auf die Frau.
„Plötzlich
und unerwartet…“. Schneider ließ die Worte im Raum stehen und
griff zum Telefon.
„Ich
rufe einen Krankenwagen.“ Er telefonierte und blieb für eine Weile
stumm. Dann erhellte sich sein Gesicht und er schlug Udo auf die
Schulter. „Badezusätze, wie? Da sag mir jemand noch mal, wir
hätten nichts zu tun.“
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