Die
Probepackung
Stampfen
der Maschinen turnt an, ein Joint auch. Und der Wecker? Jim sprang
aus dem Bett, massierte seinen Kopf mit beiden Händen und schlurfte
zum Waschbecken. Das auf und ab der Kolben war die Musik in seiner
engen Kabine neben dem Maschinenraum.
Seine
Kollegin wartete in der Bar auf ihn. Er gab ihr einen Kuss auf die
Wange und übernahm den Dienst. Mit weißem Dinnerjacket und
schwarzer Fliege sah er wie der Barman aus, der er war. Jim jobte
auf dem Kreuzfahrtschiff „Queen of Kingston Town“. Anstatt Reggae
gab es Ärzte, die sich eine gesponserte Kreuzfahrt leisteten.
„Noch
einen bitte!“, orderte einer von ihnen am Tresen. Die Frau daneben
gehörte zu dem dritten Gast, Joe Markham, Marketing Manager von
Glixo. Um die zwanzig Jahre jünger als ihr Mann. Blond, attraktiv,
eine Diva. Top, knielange eng anliegende Hose mit Leopardenmuster und
High Heels von Jimmy Choo. Ihr Mann sah normal aus, fand Jim. Aber
das waren die schlimmsten. Jim, drehte sich im Halbschlaf zu den
Flaschen, betrachtete sich im Spiegel und drohte mit dem Finger „Du
Schlimmer, du.“ Er kicherte und mixte dem Arzt einen Apricot
Cooler.
„Das
wird ein Blockbuster. Jim.“ Markham zog eine Schachtel hervor und
winkte den Barman zu sich heran. „Inoffizielle Probepackung. Sollte
nicht darüber sprechen. Das Medikament befindet sich noch im
klinischen Test. Aber die Pille wirkt.“
„Stimmt Schnucki.
Ich sehe alles viel klarer in meinem Kopf.“ Die Frau lächelte
unschuldig.
„Was redest du?“,
fragte Markham irritiert.
„Ich kann das
erklären.“ Der Arzt schlürfte an seinem Drink, setzte das Glas
ab. „Die Tablette, die Sie mir gaben, habe ich Ihrer Frau
zugesteckt. Sie hatte sie nötiger als ich.“ Er wandte sich Jim zu.
„Braincer
ist ein Life-Style Medikament, ein Brain Enhancer. Verbessert und
beschleunigt Denk-Prozesse.“ Markham erblasste. „Eine
intelligente Frau, das fehlt mir gerade noch“, entfuhr es ihm.
„Wollte
ich dies, hätte ich mich selbst drum gekümmert.“
Markham öffnete die
Schachtel und drückte eine Tablette aus dem Blister. „Jim, Sie
studieren doch? Ich gebe Ihnen eine. Damit kommen Sie garantiert
durch alle Prüfungen. Sie können sie zerkauen oder in Wasser
auflösen und machen Sie mir den gleichen Drink wie für Doktor
Kraut. Oder wie war Ihr Name?“, wandte sich Markham an den Arzt.
„Sie sind doch Deutscher, nicht wahr?“
Jim legte die
Tablette unter die Zunge, drehte sich um, mixte und ließ die
Tablette ins Glas fallen, sah, wie sie sich auflöste. Na denn,
dachte er, als er beobachtete, wie Markham das Getränk
hinunterstürzte.
„Da
geht er mit seiner Vorzeigefrau“, spottete der Arzt, nachdem das
Paar die Bar verlassen hatte. „Sie schlafen nicht mal miteinander“.
„Woher
wissen Sie das?“ Jim legte die Gläser in die Spüle.
„Getrennte
Kabinen.“ Der Arzt erhob sich. „Junger Mann, sie haben sich
keinen Gefallen damit getan, die Pille anzunehmen.“ Jim verzog das
Gesicht und zuckte mit den Schultern.
Am
Abend bekam er Besuch.
„Nett
hast du es hier. Übrigens heiße ich Elaine, und ich fühle mich so,
ich weiß nicht wie.“ Der Maschinenlärm schien Markhams Frau nicht
zu stören. Wie zwei Automaten zogen sie sich aus. Ihre Körper
bewegten sich im Rhythmus der stampfenden Kolben.
Am
Abend darauf kam Markham.
„Nett
hast du es hier. Übrigens heiße ich Robert, und ich fühle mich so,
ich weiß nicht wie.“ Der Maschinenlärm schien Markham nicht zu
stören. Wie zwei Automaten zogen sie sich aus. Ihre Körper bewegten
sich im Rhythmus der stampfenden Kolben.
Am
nächsten Abend kamen beide. Wie drei Automaten zogen sie sich aus
und erschraken.
„Huch,
Robert, wie siehst du denn aus!“, kreischte Elaine.
„Elaine,
deine Haut ist schuppig.“
´Holy
Shit!´ Jim fror. ´Ich habe zu viel geraucht!´
Auf Elaines und
Markhams Haut bildeten sich Muster, hervorgehoben und ziseliert,
bläulich grün und feucht unter dem Licht der Leuchtstofflampe.
Markham sah an sich hinab.
„Wo
kommt das her? Das war doch vorhin noch nicht da!“
Elaine
ließ sich in einen Sessel fallen und stützte ihren Kopf in beide
Hände. Jim stellte sich vor sie und babbelte: „Ist es wahr und
eure Haut wird schuppig? Ich dachte es sei mein Joint.“ Er strich
mit einem Finger über Elaines Schulter und hielt ihn gegen das
Licht. „Und dann dieser Schleim.“ Er langte nach seinen Kleidern,
zog ein Handy hervor. „Ich rufe den Schiffsarzt an.“
Sie
sahen sich an. Niemand sagte etwas. Das Stampfen der Maschinen rammte
die Stille in tausend Stücke. Es klopfte.
„Seltsam.“ Der
Bordarzt, ein junger Mann in Jeans, Segelschuhen und einem lose
getragenen Hemd ging um Markham und Elaine herum, wandte sich an Jim
und zeigte auf Elaines Hals. „Hier sehen Sie mal: Kiemen.“
„Was geht hier
vor?“, brüllte Markham. „Wir werden Fische?“
„Müssen die
Tabletten sein“, meinte Jim und zog sich an. „Robert, ich habe
meine in Ihrem Apricot Cooler aufgelöst.“
„Um
Himmelswillen!“, schrie Markham. „Der Test ist doch noch gar
nicht abgeschlossen!“
Jim
erzählte dem Bordarzt von der Probepackung.
„Sie kommen
besser in meine Krankenstation“, empfahl der Markham und dessen
Frau. „Ich werden den Kapitän bitten, den nächsten Hafen
anzulaufen. Helfen Sie mir“, wandte er sich an Markham, „Ihre
Frau aus dem Sessel zu bekommen, und nehmen Sie Ihre Kleidungsstücke
mit. Und Jim. Reichen Sie mir bitte ein Handtuch. Schuppenhaut ist
sehr empfindlich.“
Jim
schloss die Tür hinter ihnen. „Ich kenne so etwas vom Angeln“,
hörte er noch. Er drehte sich einen Joint, legte sich hin, ließ
sich von dem Sound der Maschine überfluten und döste.
Es
war eine wunderbare Nacht. Das Schiff pflügte durch die Wellen, die
das kalte Licht des Mondes und der Sterne reflektierten. Die
Maschinen sangen ihr Lied. Jim lag in seiner kleinen Kabine und
träumte.
Am
nächsten Morgen blieb eine Anzahl Ärzte dem Speisesaal fern. Im
Bordbuch des Kapitäns war später zu lesen, dass am frühen
Vormittag Türen vereinzelter Kabinen aufgerissen wurden und
fischähnliche Geschöpfe nach Luft ringend über die Korridore und
Treppen aufs Deck liefen und über die Reeling sprangen.
Einige
Tage danach konnte das Unternehmen Glixo nicht mehr verheimlichen,
dass die Hälfte der Personen, die sich dem klinischen Test
unterzogen hatten, im nächsten Fluss ausgesetzt worden waren.
Anwälte bereiten eine Schadenersatzklage vor. Dass diese zum Erfolg
führt, wird von führenden Juristen bezweifelt.
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