Coversong Roads

domenica, gennaio 08, 2023

Minutennovelle: Der Aushang

Bruno rückte die Brille zurecht. “Was macht Luigi da?”

Carlo kniff die Augen zusammen. “Weiß nicht. Da hängt doch nichts Neues, oder?”

Sie saßen vor der Kaffeebar. Die Hitze flirrte auf dem Asphalt. Durch die Tür mit den Perlenschnüren drangen Wortfetzen der Kartenspieler.
“Ich geh mal hin.” Carlo stand auf und überquerte die Straße.
“Jemand gestorben, Luigi?” Der starrte auf die Anschlagtafel. Außer ein paar Heftzwecken war nichts zu sehen. Luigi murmelte was, ging über die Straße und verschwand in der Bar. Carlo trabte zu Bruno zurück und schüttelte den Kopf. “Da hängt nichts.”
Luigi sah so aus wie alle in diesem Dorf. Klein, stämmig, erdverbunden. Nur war er nicht von hier. Und wo er vor zwei Monaten herkam, hat er nie erzählt. Er sprach nicht viel. Einmal hatte er einen Scherz gemacht, als er meinte, dass er nur alle zwei Jahre Geburtstag habe.
Der kleine Ford des Pfarrers hielt neben der Kirche. Bruno und Carlo beobachteten, wie sich Don Alberto aus dem Auto quälte. Ein durchgeschwitztes Hemd spannte sich um seinen Bauch. Er grüsste mit einer Handbewegung, dann verschwand er im Pfarrhaus.
“Luigi, wie wär’s”, rief einer der Kartenspieler. Bruno stellte sich ans Fenster und sah ins Lokal. Luigi steuerte auf den Tisch mit Benito zu und rief: “Marta, ein Bier für Benito!”
“Aber ich trinke doch gar kein Bier.”
“Dann trink ich es eben.”
Bruno drehte sich zu Carlo. “Wieso gibt er einen aus? Hat er doch noch nie gemacht.”
Als Marta das Bier brachte, hob Luigi das Glas und rief: “Prost, Benito und alles Gute.” Dann trank er es in einem Zuge aus, stand auf, bezahlte und ging aus dem Lokal. Bruno und Carlo sahen ihm nach und schüttelten den Kopf.

Am nächsten Tag trafen sich Bruno und Carlo wie üblich vor der Bar. Während Bruno zum wiederholten Mal seine Radrennerfolge aufwärmte, läutete die Totenglocke.
“Da ist einer gestorben.” Bruno ging ins Lokal und fragte. Niemand wusste, wer es war.
Eine Stunde später hielt ein kleiner Fiat neben der Kirche. Der Mann, der aus dem Auto kletterte und sich zu voller Länge entfaltete, steckte einen Aushang an die Tafel. Fünf Minuten später standen Bruno und Carlo davor und reckten ihre Hälse.
“Muss er die Anzeige immer so weit oben anbringen”, beschwerte sich Carlo. Dann sagte er: “O Gott, das war Benito.”

Es war zwei Wochen später. Die Sonne strahlte aus einem erbarmungslos blauen Himmel. Marta spannte den großen Sonnenschirm auf. Bruno und Carlo ergriffen ihre Plastikstühle und setzten sich darunter. Luigi stand vor den Aushängen, und als er die Bar betrat, sahen sich Bruno und Carlo an und gingen mit hinein. Orlando las die Zeitung. Luigi setzte sich zu ihm und rief: “Marta, ein Bier für Orlando.”
“Pass auf”, sagte Bruno. “Jetzt wartet er darauf, dass Orlando sagt: “Ich trink doch gar kein Bier.”
Als Marta mit dem Bier kam, griff Orlando nach dem Glas und trank es aus.
Carlo lachte über Luigis säuerliches Gesicht.
“Alles Gute, Orlando”, sagte dieser, stand auf, bezahlte und verließ die Bar.
Am nächsten Tag lachte Carlo nicht. Orlando war tot. Gehirnschlag. Und ein paar Stunden später steckte seine Todesanzeige neben der Benitos.
Zufall? Die Leute im Dorf sagten nichts, doch Bruno und Carlo merkten, dass Luigi einsamer wurde. Als ob er es nicht schon vorher gewesen wäre. Aber nicht so. Niemand forderte ihn zum Kartenspiel auf. Die Menschen verstummten, wenn Luigi in ihre Nähe kam. Und sie fragten sich: Wer war er?

“Da ist er wieder.” Bruno und Carlo sahen zu Luigi hinüber, der, massiv wie ein Schrank vor der leeren Anschlagtafel stand. Dann drehte er sich zu ihnen und ging auf sie zu. Sein quadratischer Kopf mit den weichen Gesichtszügen. Der klare Blick seiner grünen Augen lähmte Bruno auf seinem Stuhl. Carlo sprang auf und rief in die Bar hinein: “Er kommt!”
Die Spieler ließen die Karten fallen, Marta quetschte sich hinter dem Tresen hervor, Guiseppe ließ die Zeitung auf dem Tisch zurück, und als Luigi in das Lokal trat, war es leer. Mit bleichem Gesicht standen sie alle davor und sahen sich an.
“Marta”, hörten sie Luigi rufen. “Ein Bier für mich!”
Sie tauschten Blicke und gingen in die Bar, stellten sich um Luigi herum, gaben ihm ein Bier nach dem anderen aus und riefen. “Alles Gute, Luigi!”

Als sie ihm am Tag darauf das letzte Geleit gaben, kamen Bruno und Carlo an der Anschlagtafel vorbei und blieben einen Moment vor ihr stehen. Sie hatten den Text aufgesetzt, da Luigi keine Verwandten hatte.
“Am 08.08 starb Luigi”, las Bruno. “Er wird in unserer Erinnerung bleiben, denn er war seiner Zeit voraus.”
“Genau um einen Tag”, fügte Carlo hinzu. Dann folgten die beiden Männer dem Trauerzug.


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