Laura sah ihren Mann bekümmert an. Es ging schon seit einem Monat so: Herrmann blickte nicht vom Frühstückstisch hoch, sah Laura nicht in die Augen, trank seinen Kaffee aus, nahm seine Tasche und verließ grußlos die Wohnung.
Als Herrmann mit den beiden Achtzigjährigen in ein Altersheim fuhr, spürte er das gleiche Unbehagen wie die Tage zuvor. Dann stand er im Speisesaal des Seniorenheimes ‘Schöner Leben’ auf dem Podium vor krakeelenden Senioren und versuchte sich Gehör zu verschaffen.
“Darf ich Ihnen Heinz und Erich vorstellen? Sie sind achtzig Jahre alt, so alt wie die meisten von Ihnen.” Heinz und Erich blickten über die Senioren hinweg.
“Heinz, Erich, warum seid ihr heute hier?”
“Ich will was sagen.” Heinz setzte sich auf einen Stuhl.
“Was?”
“Wie schön das Sterben ist.” Erichs Gesicht glich einem grinsenden Totenkopf.
“Woher wisst ihr das?”
“Ich war chon mal tot.” Heinz legte Erich einen Arm um die Schultern.
“Und doch seid ihr hier.”
“Nun, ich war nur halb tot.” Erich legte Heinz einen Arm um die Schultern.
“Was habt ihr gesehen?”
“Mein ganzes Leben, und dann schwebte ich über meiner Leiche.” Die beiden glichen um achtzig Jahre zu spät auf die Welt gekommenen Siamesische Zwillingen.
“Habt ihr Angst gehabt?”
“Nein, denn ich hab ihn gesehen,” antworteten die Beiden.
“Was?”
“Den weißen Tunnel.”
“Und was ist dahinter?”
“Engel.” Heinz und Erich breiteten die Arme aus.
“Würdet ihr das wieder machen?”
“Was?”
“Sterben.”
“Ja, aber ich werde noch gebraucht.” Die beiden Alten erhoben sich und stellen sich an Herrmanns Seite.
“Heinz, Erich. Habt Dank für Eure Worte.”
Hermann wandte sich ans Publikum.
“Wie steht es mit Euch. Werdet Ihr noch gebraucht? Denkt darüber nach.”
Schwester Irmgard erhob sich aus der zweiten Zuschauerreihe.
“Herrmann, vielen Dank für Ihre Worte. Morgen wird euch Senioren das Frühstück ans Bett gebracht. Auf dem Tablett findet ihr eine Tüte mit weissem Pulver. Schüttet es in den Kaffee und trinkt ihn aus. Dann seid ihr tot.”
Herrmann drehte sich zu den beiden Alten auf dem Podium.
“Heinz, Erich, ist das nicht ein herrlicher Zustand?”
Konferenzsaal der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BFA).
Herrmann blickte in die Runde und ergriff das Wort. “Tagesordnungspunkt: Rundschreiben Bundesministerium für Finanzen Nr. 12887, Begrenzen des Höchstrentenalters für Rentner auf achtzig Jahre.”
So fängt es an. Herrmann hatte sich noch nie so einsam gefühlt. Und seine Kollegen?
“Der monatliche Test ist abgeschlossen.”
Für jeden Teilnehmer standen eine Schale Gebäck, ein leeres Glas, eine Flasche Wasser und eine Tüte mit weißem Pulver auf dem Konferenztisch. Herrmann goss Wasser in sein Glas und schüttete das Pulver dazu. Die Kollegen machten es ihm nach.
“Wir haben das Verhalten in zwanzig Altersheimen untersucht. Jeweils zehn Prozent der Insassen hat das Pulver genommen, die meisten waren in den Achtzigern.”
Heinz sah jeden Einzelnen seiner Kollegen an: “Anfang nächsten Monats wird jedem Rentner im Alter von achtzig Jahren oder darüberr eine Tüte dieses Pulvers zugeschickt. Gleichzeitig startet unsere Kampagne mit Heinz und Erich im Fernsehen.”
Herrmann erhob sich. “Ich verabschiede mich jetzt von Ihnen” und trank das Glas aus.
Das taten seine Kollegen auch.
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