Minutennovelle: 10m Brett

 

Wer schon einmal etwas von Kognitiver Dissonanz gelesen hat, Lisa ist ein Beispiel dafür. Lisa, Kassiererin im Penny-Supermarkt von Dünkelskirchen. Zur Rechten fliesst die Wümme. Zur Linken Pennys sieht man die Dünkelskirche. Und Lisa blickte stur auf das Band, wischte die Ware über den Scanner. Blickte nicht hoch, besonders dann, wenn der schöne Peter sich mit seinem Einkaufswagen anstellte.

Lisa war klein und mollig. Manche mögen sagen, dick, andere, fett. Einige liessen sich herab zu sagen: „Wenn man um sie herum ist, ist der Sonntag Nachmittag vorbei.“

Zum Glück hatte sie das nie gehört, doch wusste sie: Der schöne Peter wollte nur seine Ware bezahlen und mehr nicht. Hatte der nie etwas von „Body Positivity“ gehört? War auch für Lisa neu. Alle Körper sind schön, egal wie sie aussehen. In dem Moment, wenn sie daran dachte, fand sie sich nicht hässlich. War sie ja auch nicht, nur...

Abends quetschte sie sich in ihren Fiat 500, legte den verlängerten Gurt um sich und fuhr nach Hause. Blickte sehnsüchtig zur Badeanstalt hinuber, die hinter der anderen Strassenseite begann. Sah das 10-m Brett, Muskelbepackte, aber auch Dünne, mehr Männer als Frauen, die sich vom Brett in das Nass stürzten.

Lisa mochte Wasser, auch das 10-m Brett. Nur würde es ihr nicht im Traum einfallen, tagsüber, wenn sie gesehen werden konnte, auf das Brett zu klettern und sich ins Wasser fallen zu lassen.

Die Strassenlampe war kaputt. Zum Glück. Die Badeanstalt war umzäunt. Lisa stieg um ein Uhr morgens aus dem Bett, verliess ihre Wohnung, überquerte die Strasse und ging langsam den Zaun entlang. Sie hatte ein paar Katzen unter den Zaun kriechen sehen. Lisa wünschte in dem Moment, sie wäre eine, trat näher an die Stelle, ergriff den Maschendraht. Er liess sich hochziehen. Lisa liess sich zu Boden fallen, blieb einen Augenblick auf dem Rasen liegen und schob sich unter den Zaun hindurch. 3 Meter zum Sprungbrett. Von da an ging alles schnell. Lisa zog sich aus, stieg die Leiter empor, ging auf dem Brett entlang und liess sich fallen. Ihr letzter Gedanke: „Hoffentlich hat niemand das Wasser abgela“..